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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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ausfragte, dass das Herz wieder zu bluten anfing. Nein, die Bahnhofsmission und meinen frommen Wahn bis hin zu meinem Fernweh wollte ich bei mir behalten. Denn das hielt auch mich und diktierte mir nun meine Erinnerung. »Nicht einmal den Freischwimmer hast du geschafft!«, höhnte sie. Von wegen DLRG (Deutsche Lebensrettungsgesellschaft)!
    Und wieder ging ich von Tisch zu Tisch und bettelte um eine kleine Spende für die Bahnhofsmission, ein Lächeln ins Spiel bringend, das sexuelles Wohlgefallen und einen Rette-deine-Seele-Eifer vortäuschte, alles aus Instinkt. Von Tisch zu Tisch lächelte ich undefinierbar, aber bestimmt, lächelte mich zwei Tage durch, zweimal im Jahr, zwei Jahre lang. Am Ende hatte ich das zweitbeste Ergebnis. Die Büchse wurde jeden Abend von der Schwester ausgeschüttet. Ich zählte vor, sie zählte nach, und nach zwei Tagen war ich an zweiter Stelle. Besser war ein zukünftiger Geistlicher, ein gutaussehendes Exemplar, der deswegen und weil er schöner »Grüß Gott!« sagen konnte als ich über mich triumphierte. Er hatte mich abgedrängt, auf Platz 2 verwiesen. Ich war nur, du warst nur der Zweitbeste und der Zweitschönste.
    Die ganze Zeit schon versuchte sie, die Erinnerung, mich an den Haaren zu ziehen, mir Lästerungen durch die Ohren ... »Weiche, Satan!«, gebot ich ihr. »Apage Satanas!«, fluchte ich in meiner Erinnerung, so, wie ich es gelernt hatte.
     
Don Quixote von Pico Grande und ich
     
    Fritz schlurfte mit herunterhängenden Hosen auf mich zu. Noch in der Tür sagte er mir, er sei krank. So sah er aus. Der Bademantel war vielleicht einmal ein Bademantel, deckte seine Blößen nicht zu. Ich sah blasses Fleisch, fern vom Leben. Haare, unnütz. Er hatte gar nicht bemerkt, dass auch seine Unterhose ganz am Boden, zwischen seinen Knöcheln und von innen nach außen - So öffnete er mir, ein Einblick in ein falsches Leben.
    Wir sollten aber dennoch hereinkommen und mit ihm einen Whisky trinken.
    Auch er wohnte etwas außerhalb, in einem kleinen Holzhaus, das in einer Mulde stand. An einem Wasserlauf, der aus kaltem, klarem Wasser bestand, von Pappeln gesäumt. Allein sie waren von der Straße aus zu sehen. Sein Haus war ein Holzhaus, aber voller Elektrogeräte, die ihm seine Schwester geschickt hatte. Nur Strom gab es nicht. Bis hin zu Mixer, Wäschetrockner, Brotschneider und elektrischer Zahnbürste war alles da. Fritz brachte es nicht übers Herz hinüberzuschreiben, dass er ohne Strom lebe.
    Er nahm den Whisky aus der rattensicheren Waschmaschinentrommel.
    Die Begegnung mit ihm riss ein Loch auf.
    Bis ich ihn selbst kennenlernte, war er nur ein durch die Briefe meines Onkels Antonio geisternder Mensch gewesen. Elektrisches Licht gab es nicht, aber Bücher und Whisky gab es. Er tat sich mit dem Leben weh. Das war kein richtiges Leben, hinter seinen Büchern her, hinter ihren Fluchtgeschichten, ihrem Loch in der Straße.
    Er las. Aber auch noch die Bibel war voller Ausflüchte, ließ er mich wissen: Adam floh aus dem Paradies ins Leben, Abraham aus dem Zweistrom- ins Gelobte Land. Die Israeliten flohen von den Fleischtöpfen Ägyptens zu den Heuschrecken in die Wüste. Jona flüchtete ans Ende der Welt, damals Tarschisch bei Gibraltar, jenem Felsen, den Fritz schon am dritten Tag seiner Fahrt und Flucht hinter sich gelassen hatte. Aber Jona kam nicht einmal nach Tarschisch. Er musste schon im Bauch des Walfischs aufgeben, blamables Ende einer Flucht. Immerhin folgte ein richtiges Leben mit Erlösung und Himmelfahrt.
     
    Aber was war mit mir?
    Es war wie im Nachsommer, dem ersten Roman, den ich gelesen habe. Wegen eines drohenden Gewitters kam mein junger Freund ans Gartentor des Alten, von da ins richtige Leben. Sein eigener Vater hatte eine leblose Figur abgegeben, zu vergleichen mit dem guten Josef innerhalb der Heiligen Familie. Vom Augenblick am Gartentor an gerechnet begann das richtige Leben. Der richtige Vater saß weiterhin tatenlos bei der Wiener Mutter, die die beste war, und weiter nichts, und bei der jüngeren, ebenfalls besten Schwester. Alle drei lebten von den Brocken, die der Sohn vom alten Herrn, der sich irgendwo am schönsten Ort in den Bergen niedergelassen hatte, nach Wien mitbrachte, jeweils, bevor der Winter einbrach. Gleich zu Beginn der Geschichte war der junge Mensch auf eine gottgleiche Figur gestoßen, die ihn am Gartentor belehrte, dass kein Gewitter zu erwarten sei. Und so war es dann mit allem. Der erste Streit blieb der einzige. Es folgte jene

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