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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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Wohlergehen zu verwirklichen«, sagte der Dalai Lama, »brauche ich eine altruistische
Haltung, durch die ich befähigt werde, die Bürde auf mich zu nehmen, anderen zu
helfen. Das erreiche ich nur durch heilende Hinwendung.«
    »Albert?«,
fragte Lionel Newton, der Moderator der Talkshow. »Ihre Meinung?«
    »Ohne Zweifel
lassen sich durch moralisches Verhalten viele Probleme lösen. Und tatsächlich fehlt
es uns oft an Motivation. Allerdings liegt ein wesentlicher Grund für diesen Mangel
darin, dass wir die Zusammenhänge nicht durchschauen. Wir glauben, wir müssten andere
von der Objektivität und Allgemeingültigkeit moralischer Werte überzeugen. Und übersehen
dabei, dass Menschen in einem emotionalen System miteinander interagieren, bei dem
die Wirkung – also der Wert moralischen Verhaltens – progressiv ist.«
    »Emotionales
System?«, erkundigte sich Professor Hoolbrock. »Was hat Moral mit Gefühlen zu tun?«
    »Stellen
wir uns eine Welt vor, in der es nur gefühlsneutrale Fakten gibt – meine Krankheit,
dieses Verbrechen, diesen Krieg – und unsere gedankliche Bewertungen dazu. Dann
ist Leiden nicht möglich, genauso wenig wie Glück und Zufriedenheit. Aber die Emotionalität,
die dem Leben letztlich Sinn und Wert verleiht, interagiert mit der Emotionalität
anderer. Das ist das emotionale System, in dem wir miteinander leben.«
    »Und was
soll daran progressiv sein?«
    »Je mehr
Menschen sich daran beteiligen, unser emotionales System zu optimieren, desto größer
wird die Wahrscheinlichkeit für jeden Einzelnen, selbst davon zu profitieren. Dabei
handelt es sich um eine relative, nicht um die traditionelle absolute Begründung
der Moral.«
    »Worin genau
sehen Sie den Unterschied von progressiv und allgemeingültig?«, fragte Newton.
    »Wenn man
sein Portemonnaie mit tausend Euro verliert und der Finder es anschließend gut sichtbar
auf eine Mauer legt und sich danach keiner der vorbeikommenden Passanten das Geld
aneignet, bis es der Verlierer wiedergefunden hat, dann ist dies zunächst einmal
für den leer ausgehenden Finder ein ›Verlust‹. Jeder ›arme‹ Egoist würde zu Recht
argumentieren, dass er eigentlich um tausend Euro reicher sein könnte. Der Wert,
das Geld zu nehmen oder nicht zu nehmen, kann hier nicht allgemeingültig sein, weil
die Interessen verschieden sind. Finde ich dagegen eine Formel, die allen Vorteile
bringt, ändert sich auch der individuelle Wert. Beteiligen sich nämlich alle am
moralischen System, dann wächst für alle die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst
von diesem Verhalten profitiert.
    Der Verzicht
auf tausend Euro ersetzt also die fehlende Allgemeingültigkeit individueller Werte
innerhalb unseres Wertpluralismus und wird aufgewogen durch andere zu erwartende
Vorteile für mich, die entstehen, wenn alle – oder möglichst viele – sich an diesem
progressiven System beteiligen. Je weniger Menschen sich dagegen beteiligen, desto
geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst davon profitiert.«
    »Und irgendwann
wird die kritische Grenze unterschritten?«, fragte Hoolbrock.
    »Das System
schlägt um in Beliebigkeit. Es ist von meinem partikulären guten Willen abhängig
und nicht mehr von dem Wert, den es für mich erzeugt. Dies ist der gesellschaftliche
Zustand, in dem wir uns momentan befinden.«
    Der Dalai
Lama war ein freundlich grinsender Mann mit großer Brille und orangefarbenem Überwurf.
Er faltete die Hände vor dem Gesicht und verneigte sich immer erst nach links und
rechts, ehe er zu sprechen begann.
    »Eine bemerkenswert
klarsichtige Analyse«, sagte er. »Aber jeder muss jetzt damit anfangen, sich jetzt dafür entscheiden, um die Früchte ernten zu können?«
    »Wobei wir
niemals perfekte Ergebnisse erwarten dürfen. Wenn ich einem Bettler mit einem 20-Euro-Schein
zuwinke und er wird beim Überqueren der Straße überfahren, ist meine gute Absicht
gescheitert. Die Methode bleibt trotzdem effektiv. Ausnahmen widerlegen sie nicht,
ihre Wahrheit ist tendenziell, nicht absolut.«
    »Unser junger
Freund hat eine beeindruckende Begabung, die Dinge auf den Punkt zu bringen«, bemerkte
der Dalai Lama schmunzelnd.
    »Aus diesem
Grunde haben wir ihn eingeladen«, sagte Lionel Newton.
    »Vielleicht
wäre er in unserem Land sogar Dalai Lama geworden …?«
    Die Runde
rang sich ein höfliches Lächeln ab.
    Mal abgesehen
davon, dass China nicht der Ort ist, an dem ich Dalai Lama werden möchte – anscheinend
hätte ich in dieser Talkshow genauso

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