Eisige Schatten
Cassie schaute sich langsam um. »Nicht, wenn ihr Blut darauf ist.« Zuerst fiel ihr nichts Ungewöhnliches auf. Doch dann spürte sie einen leichten, aber zunehmenden Druck auf der Brust, und das Atmen fiel ihr schwerer als noch einen Augenblick zuvor.
»Cassie?« Ben stand direkt hinter ihr im Türrahmen. »Ist alles in Ordnung?«
»Ich weiß nicht. Ja. Mir geht’s gut.« Sie blickte sich weiter langsam um, wollte ihm nicht sagen, dass ihr das Atmen immer schwerer fiel. Ihr Blick konzentrierte sich auf eine Pfütze getrockneten Blutes nahe der Kücheninsel. Das Blut wirkte dunkel und glitschig, und als sie blinzelte, wurde es plötzlich scharlachrot.
Der Eindruck war flüchtig, ein Farbblitz, der gleich wieder verschwunden war. Doch als sie auf das über den weißen Kühlschrank verspritzte Blut schaute, wurde auch das plötzlich scharlachrot. Und dann fiel ihr eine Bewegung ins Auge, und sie drehte den Kopf und sah scharlachrotes Blut vom Rand der Kücheninsel auf den Boden tropfen.
»Großer Gott«, flüsterte sie.
»Cassie? Was ist?«
»Schhhh. Sagen Sie nichts. Das … so was ist mir noch nie passiert. Wenn ich hinschaue, sehe ich das Blut tropfen, als wäre es frisch. Spritzer und Schmierflecken im ganzen Raum, leuchtend und feucht.« Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder, aber das Blut blieb rot, so rot, dass es beim Hinschauen schmerzte, und als sie versuchte, den Kopf abzuwenden, war es, als würde sie aus den Augenwinkeln eine blitzschnelle Bewegung wahrnehmen.
Jedes Mal, wenn sie den Kopf hin und her drehte, blitzte diese Bewegung auf, knapp außerhalb ihres Blickfeldes, und verschwand, sobald sie sich darauf konzentrieren wollte.
Dann hallte ein Schrei durch ihren Kopf, so laut und gewaltsam wie ein Schlag, und für einen einzigen, unendlichen Moment sah sie Ivy Jameson auf dem blutigen Boden ihrer Küche sitzen, den Rücken gegen das Bein der Kücheninsel, ihr einst weißes Kleid entsetzlich verschmiert – und ihre offenen Augen starrten Cassie quer durch den Raum vorwurfsvoll an.
Cassie wollte vor dieser schrecklichen Verdammung davonlaufen, wollte dem grausigen Wissen in Ivys Blick entfliehen. Doch plötzlich wurde der Druck auf ihrer Brust unerträglich, es gab keine Luft, überhaupt keine Luft, und die scharlachrote und weiße Küche wurde von einer Welle totaler Dunkelheit überflutet.
Die Stille war absolut, und es war so friedvoll, dass Cassie versucht war, dort zu bleiben. Außerhalb der friedlichen Dunkelheit wartete Entsetzen auf sie, verstörende Albträume, denen sie sich nicht stellen wollte. Aber dann begann jemand ihren Namen zu rufen, drang damit in den Frieden ein, und sie wusste, dass sie antworten musste.
»Cassie?«
Sie öffnete die Augen und war sofort hellwach, nicht ausgelaugt oder erschöpft von dem, was passiert war. Sie fand sich auf einem Sofa in einem sehr steifen Wohnzimmer liegen. Ben saß auf dem Rand neben ihrer Hüfte und hielt ihre Hand in seiner.
Cassie spannte sich augenblicklich an, wollte die Hand wegziehen, merkte aber, dass sie seine Gedanken noch immer nicht lesen konnte. Seine Hand fühlte sich sehr warm an.
»Hab doch gesagt, dass ihr nichts fehlt«, bemerkte der Sheriff lakonisch von einem Sessel in der Nähe.
»Stimmt das?«, fragte Ben mit besorgtem Blick.
Cassie nickte langsam. »Ja. Ja, mir geht’s gut.«
Er half ihr, sich aufzusetzen, ließ aber ihre Hand nicht los und rückte auch nicht weg, bis offensichtlich wurde, dass ihr tatsächlich nichts fehlte. Er blieb neben ihr auf dem Sofa, halb ihr zugewandt, damit er sie genauer betrachten konnte. »Wollen Sie uns erzählen, was passiert ist?«
»Ich weiß es nicht. Das ist noch nie geschehen.«
»Was ist noch nie geschehen?«, wollte der Sheriff wissen. »Sie sagten bloß, Sie würden sehen, dass das Blut feucht und rot wurde, und dann sind Sie anmutig in Bens Armen zusammengesackt und ohnmächtig geworden.«
Cassie überhörte seinen Spott und wandte sich mehr an ihn als an Ben. »Ich sah die Blutflecken feucht und rot werden – einige tropften von der Kücheninsel auf den Boden. Und dann, nur für einen Moment, sah ich Ivy Jameson. Auf dem Boden sitzend, den Rücken an einem Bein der Insel, ihr Kleid rot vor Blut. Sie schaute mich quer durch den Raum an, beinahe … anklagend.«
»In wessen Kopf waren Sie denn da?«
»Ich weiß es nicht. Es war, als stände ich, nur Augenblicke nachdem der Mörder gegangen war, in dem Raum.«
»Wie erklären Sie sich das?«, fragte
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