Eismord
durch, hielt die Luft an, ging wieder hinein und sah, dass keine Schlüssel da waren, weder auf dem Tisch noch an der Wand.
Immer noch mit angehaltener Luft, kniete er sich neben Henry hin und ignorierte bewusst das schwarze Loch in seiner Stirn und die dunkle, klebrige Masse unter ihm, als er ihm in die Tasche fasste. Er zog ein Taschenmesser und ein paar Münzen heraus und steckte sie ein.
Henry lag auf der linken Seite. Lloyd gelang es gerade noch, in seiner Jackentasche zu suchen, bevor seine Lunge streikte. Obwohl er durch den Mund einatmete, wurde ihm von den Verwesungsgasen speiübel, und er erbrach sich auf den Boden. Er würgte so lange, bis sein Magen leer war.
Es gelang ihm, Henry umzudrehen und in seine anderen Taschen zu greifen. Kaugummi, die Visitenkarte eines Klempners – absolut nichts, was er in seiner momentanen Situation gebrauchen konnte.
Er stand auf und übergab sich noch einmal. Das Telefon auf der Arbeitsplatte in der Küche sah intakt aus, doch als er den Hörer abnahm, stellte er fest, dass kein Freizeichen ertönte. Mit Schneeschuhen hätte er ein paar Möglichkeiten gehabt, doch Henrys Schneeschuhe hingen nicht wie sonst an ihrem Haken neben der Tür.
Lloyd sah aus dem Fenster, über die Lichtung und in den dunklen Wald. Nichts regte sich. Außer dem Summen von Henrys Kühlschrank war nichts zu hören.
Er öffnete die Tür und zog sie hinter sich zu. Dann rannte er los. Jemand aus Papas Bande hatte den ehemaligen Holzfällerpfad, der zum Highway führte, freigeschaufelt. Mit seinen verletzten Gelenken würde er es durch den verschneiten Wald nicht schaffen.
Lloyd war den größten Teil seines Lebens mit einer guten Gesundheit gesegnet gewesen, hatte allerdings nie ernsthaft Sport getrieben. Nach wenigen hundert Metern drohte seine Lunge ihn im Stich zu lassen, und so ging er in zügigen Laufschritt über. Schon jetzt taten ihm die Knöchel und Waden weh, und es konnte nur schlimmer werden. Er lief weiter.
Falls er es bis zum Highway schaffte, konnte er jemanden heranwinken. Ein alter Mann am Straßenrand – irgendjemand würde merken, dass er in Schwierigkeiten war. Irgendjemand würde anhalten.
Er hörte den Range Rover, bevor er ihn sah. Die Federung quietschte bei jeder Bodenwelle.
Lloyd stürzte sich kopfüber in den Schnee rechts von ihm, purzelte nach vorn, stand auf und verdrehte dabei Hüften und Knie. Die Kälte brannte ihm an den Handgelenken, den Knöcheln und am Hals. Er setzte sich hin und schaufelte sich Schnee über die Beine, legte sich auf den Rücken und häufte sich Schnee über den Rumpf, um das leuchtende Rotblau seines Parkas zu verdecken.
Der Rover kam um die Kurve, das Rattern und Quietschen wurde lauter. Lloyd lag still. Die Schaltung wechselte gewaltsam unter knirschendem Protest in den Rückwärtsgang. Der Motor heulte ein paar Mal auf. Der Truck kam in den Schnee, bis das Räumschild Lloyd mit Wucht gegen die Füße knallte.
Der Motor heulte wieder auf.
Lloyd rappelte sich hoch und strich sich den Schnee aus Gesicht und Haaren. Der Schnee schmolz rund um seinen Hals und lief ihm in eisigen Rinnsalen Rücken und Brust hinunter. Der mit den bösartigen Zügen, dem Dreitagebart und kantig geschnittenen Schnauzbart saß hinter dem Lenkrad. Jack. Er kurbelte die Scheibe herunter. Seine Pistole tauchte zuerst auf, dann sein Gesicht.
»Beweg dich.«
»Nein.«
»Ich sagte, beweg dich.«
»Das werde ich nicht.«
Jack klopfte mit seiner Automatik an die Türverkleidung. »Du siehst lächerlich aus. Alter Knacker im Schnee, der den starken Mann markiert.«
»Dann bringen wir’s hinter uns, erschieß mich.«
»No, Sir.«
»Na los, worauf wartest du. Henry hast du doch auch erschossen. Mich wirst du auch umlegen.«
Jack sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Nicht auf deinen Befehl hin.«
»Nein, sondern erst, wenn dieser Verrückte, den du Papa nennst, es dir befiehlt.«
»Richtig.«
»Du tust alles, was er sagt.«
Jack schlug wieder mit der Waffe an seinen Rover.
Lloyd watete durch den Schnee zur Beifahrerseite. Als er die Tür erreichte, versuchte er, wegzulaufen. Jack legte den Rückwärtsgang ein und schnitt ihm mit dem Wagen den Weg ab. Die Scheibe auf der Beifahrerseite wurde heruntergelassen.
»Zurück zum Haus, Alter.«
»Lass mich gehen. Sag diesem Mann, ich wäre entwischt, während du auf der Jagd warst.«
»No, Sir, du scheinst mich mit einer Art Zollbeamten aus der Dritten Welt zu verwechseln – so einem armseligen,
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