Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Schnürsenkel?«
»Weil er einer ist.«
»Und was glaubst du, wer will sich an dem Schnürsenkel rächen?«, fragt der Tschauner.
Patric Kober zuckt mit den Schultern.
Herrgott, irgendwas müssen die doch wissen.
*
Als der Inceman mit den Jugendlichen durch ist, veranlasst er noch schnell, dass ab jetzt eine Hundertschaft einen breiten Streifen nördlich der Elbe auf den Kopf stellt, von Hammerbrook bis Ottensen. Und dann bin ich an der Reihe. Der Herr Kommissar hat mich abgefangen, als ich mich aus dem Staub machen wollte.
»Schön hierbleiben«, hat er gesagt und mich an der Hand genommen. Und weil ich mich geweigert habe, im Flur mit ihm zu reden, hat er mich auf die Herrentoilette gezogen.
»Hier hört uns keiner«, sagt er, »wenn dir das so wichtig ist.«
»Du bist der, der reden will«, sage ich.
»Ich hab keine Lust auf dein Rumgeeier«, sagt er.
»Ich eiere nicht rum.«
»Doch«, sagt er, »du eierst. Du bist uneindeutig. Den ganzen Tag schon. Verkauf mich nicht für blöd, ich merke das.«
Er streicht mir mit der Hand eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Du pfeifst deine Gefühle zurück. Du bist nicht mit diesem Jungen zusammen, oder nicht mehr mit diesem Jungen zusammen, keine Ahnung, du redest ja nicht. Aber mir hältst du auch in einer Tour Stoppschilder vor die Nase. Für so einen Scheiß bin ich zu alt. So einen Scheiß will ich nicht.«
»Was willst du dann?«
Er drückt mich gegen die geflieste Wand und küsst mich auf den Hals.
»Ich will, dass du meine Frau bist. Jetzt und sofort. Und nicht vielleicht.«
Ich schiebe ihn ein Stück weg von mir und sehe ihm in die Augen. Dein und mein und sofort und überhaupt. Da kann ich nicht so gut drauf.
»Da kann ich nicht drauf«, sage ich.
»Du redest wie die Kinder, die bis eben noch in unseren Vernehmungsräumen rumsaßen«, sagt er. »Du solltest nicht so reden. Du solltest selber Kinder haben.«
Er schmeißt mir seine Blicke entgegen, und die sind so dunkel, dass hier gleich die Neonröhren ausgehen.
Diese Blicke machen mich fertig.
Ich ziehe ihn zu mir ran, ich habe, zack, seinen Gürtel in der Hand, ich lasse mich von ihm gegen die Wand pressen, ich lasse mich von ihm hochheben, und dann geht’s so schnell, dass dem Fliesenfußboden schwindelig wird.
*
»Ich kann keine Kinder kriegen«, sage ich, als ich mich wieder anziehe. »Also vergiss es.«
Er lehnt an der Wand, um seine Augen liegen tiefe, dunkle Schatten, er sieht eingefallen aus. Traurig. Er streicht sich mit der Hand eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn und schüttelt den Kopf.
»Was machst du aus mir?«
Was weiß ich denn. Ich bin hier der Amateur.
Die Toilettentür fällt hinter mir ins Schloss, ich stehe wieder auf dem Flur, und ich fühl mich gar nicht gut.
Als wäre ich an eine Achterbahn getackert und könnte nicht mehr aussteigen.
*
Ich sitze auf der Fensterbank und kucke nach unten, die Flasche hab ich fest in der Hand. Je mehr Wodka mir in den Hals läuft, desto ruhiger werde ich. Vor einer halben Stunde ist die Dämmerung über die Stadt gefallen, und solange die Straßenlaternen noch nicht ihre ganze Kraft entfalten, solange sie nur leicht glimmen, werfen die Lichter aus dem Kiosk gegenüber ein warmes, gelbes Licht aufs Kopfsteinpflaster. Der Schnee rieselt nur noch ganz leicht vom Himmel, ab und an spaziert jemand die Straße entlang. Die Gehsteige werden im Moment auf Sankt Pauli nicht so gerne benutzt, die sind zu glatt. Die befreit hier ja keiner vom Eis. Fühlt sich keiner zuständig. Und die Stadtreinigung schon gar nicht.
Ich trinke weiter und weiter und weiter und warte auf die Klarheit, die sich normalerweise mit der Ruhe einstellt. Aber die Klarheit kommt nicht. Es bleibt neblig in meinem Kopf.
Nebenan hat Klatsche die Ramones aufgelegt. Lauter geht’s aber echt nicht mehr.
29. Dezember:
Auf dem Dachboden deines Lebens
P atric kam zur Welt, als seine Mutter Susann siebzehn war. Vater unbekannt. Frank Kober heiratete Susann, als die gemeinsame Tochter unterwegs war, Angela. Nach ungefähr zehn Jahren kamen kurz hintereinander die beiden kleinen Jungs zur Welt. Die Schwangerschaften waren anstrengend, Susann war über dreißig, und sie war gewohnt, viel zu trinken, um über den Tag zu kommen. Susann Kober ist sich nicht sicher, wer die Väter der beiden sind, nur eins weiß sie: Ihr Mann Frank ist es nicht. Sie hält Frank für einen Schwächling. Der kann keine Söhne zeugen, hat nur ein Mädchen zustande gebracht. Und den einzigen
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