Eistochter
Gründer. Man kann nicht lernen, empfindsam zu sein – man wird so geboren. Und wir sind beide als Säuglinge einem Gentest unterzogen worden. Das muss ein Irrtum sein.«
Bethina reicht mir ein Glas Wasser. Ich nehme es und sehe zu, wie die Tropfen an der Außenseite hinablaufen. Sie jagen einander und nehmen Fahrt auf, bis sie zusammenstoßen, Teile eines Ganzen, die wieder zueinanderstreben.
»So leid es mir tut, es ist kein Irrtum. Beck ist empfindsam. Es gibt Beweise dafür.«
»Was für Beweise? Was hat er je getan, außer glücklich und albern und alles, was er sonst noch ist, zu sein?« Ein Schrei sitzt mir in der Kehle, aber ich verdränge ihn und kämpfe darum, die Beherrschung zurückzugewinnen. »Seine Eltern arbeiten für den Staat. Sie sind keine Empfindsamen.«
»Ich weiß nur, dass die Ermittlungen auf fünf Schüler hinweisen. Mehr habe ich nicht erfahren.«
»Fünf! Aber wie das?« Die Fragen sprudeln nur so aus mir hervor. »Wie ist es ihnen gelungen, unbemerkt die Schule zu besuchen? Und was soll nun geschehen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und Kyra auch?«
»Ja.« Bethina wendet sich dem Fenster zu.
»Zwei von ihnen in unserem Haus. In deiner Obhut, Bethina? Wieso hast du das nicht gewusst?«
Sie lässt die Schultern und den Kopf hängen. »Dasselbe könnte ich dich fragen.«
Ich kann es einfach nicht glauben. Beck, mein Partner, ist empfindsam. Und Kyra, meine beste Freundin, auch? Das ergibt keinen Sinn.
»Was soll ich denn jetzt tun?« Die Ungeheuerlichkeit der Situation lastet auf mir. Beck ist nicht mehr da. Kyra auch nicht. Mein Partner und meine beste Freundin. All unsere Pläne haben sich in Luft aufgelöst.
Bethina starrt weiter aus dem Fenster. Ihre Hände zittern, aber ich kann sehen, dass sie sich um meinetwillen zu beherrschen versucht.
»Ich glaube, es ist das Beste, wenn du einfach abwartest, Lark. Lass dir ein, zwei Tage Zeit. Ich bin sicher, dass du bald eine Nachricht erhältst.«
Ich erstarre, als mir klar wird, was sie andeutet. »Was sagst du da?«
Sie seufzt und faltet die Hände. »Vielleicht ist es das Beste so. Vielleicht ist Beck nicht der richtige Partner für dich.«
Meine Wirbelsäule kribbelt vor Zorn. »Er ist mein Partner! Mein Partner! Was hast du immer gesagt? Dass wir zwei Seiten derselben Münze sind? Wie kannst du da behaupten, dass er nicht die beste Wahl für mich ist?«
Sie steht auf, und ihr Gesicht ist nicht länger gelassen. »Lark Greene, du hörst jetzt sofort damit auf. Dass du mich anschreist, holt Beck ganz bestimmt nicht zurück.«
Beschämt schaue ich zu Bethina hoch. Ihr Gesicht ist tränenfeucht, und sie wirkt, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen.
»Wo ist er? Bitte sag es mir.« Ich versuche, flehentlich zu klingen, aber eigentlich würde ich viel lieber bedrohlich wirken.
Ich will Antworten.
»Das habe ich dir doch gesagt. Der Staat hat ihn abgeholt. Er ist nicht im Gefängnis, da bin ich mir ganz sicher. Sie verhören die beiden wahrscheinlich. Jetzt reiß dich endlich zusammen, damit wir besprechen können, was zu tun ist.« Ihr Tonfall ist nachdrücklich. Sie behandelt mich wie ein Baby.
» Gut .«
»Du musst mir deine Halskette geben.« Bethina streckt die Hand aus.
»Was? Nein.« Ich verdecke sie schützend. Warum sollte Bethina meine Kette haben wollen?
Sie hält wartend die offene Hand ausgestreckt. »Ein Schlussstrich.«
Der Druck in mir steigert sich immer weiter, nimmt Fahrt auf wie die Wassertropfen. Ich gerate außer Kontrolle. Ich möchte unbedingt jemanden meinen Schmerz spüren lassen.
Bethinas Kopf fährt in die Richtung herum, aus der ein leises Knacken ertönt. »Was um alles in …«
Bevor sie den Satz beenden kann, explodiert das Glas auf dem Beistelltisch, so dass Scherben und Wasser in die Luft spritzen.
Bethina schreit.
Ich springe auf und reiße an der Tür. Sie fliegt auf, und ich renne zur Treppe, springe über das Stabgeländer und laufe in mein Zimmer. Ich bin mir nicht sicher, was gerade passiert ist, aber wenn der Staat – zu Unrecht – annimmt, dass Beck und Kyra Empfindsame sind, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die wahren Schuldigen sich irgendwo in unserem Haus verstecken und nur auf den richtigen Augenblick warten.
Furcht nagt an mir, und ich dränge meine neugierigen Mitbewohner beiseite. Ich lasse eine Spur der Verwirrung hinter mir zurück.
Ich erreiche mein Zimmer und stoße die Tür mit einem Fußtritt zu. Ich rechne damit, jeden Moment Bethina –
Weitere Kostenlose Bücher