Ekel / Leichensache Kollbeck
ökonomischer Planung und materieller Interessiertheit alle Wirkungsmechanismen des Marktes wie Angebot, Nachfrage und Gewinn zu entfalten. Seine Reformpläne finden großen Anklang. Anfangs auch bei Günter Mittag.
Jedoch, die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Sowjetunion bremst Apels Bestrebungen, die Wettbewerbsfähigkeit der DDR auf dem Weltmarkt zu forcieren. Das derzeitige Dilemma der DDR-Wirtschaft besteht vor allem darin, daß die DDR Rohstoffe aus der UdSSR bezieht, wofür sie hochveredelte Produkte, ja ganze Industrieanlagen zu Preisen liefern muß, die weit unter dem Weltmarktniveau liegen. Apel vermutet, daß seine Strategie des „Neuen Ökonomischen Systems“ unter diesen Bedingungen versagen muß. So verzögert er die Lieferungen in die Sowjetunion zugunsten der Exporte in die westliche Welt, um die Devisenkasse aufzufüllen. Bei den ergebnislosen Wirtschaftsverhandlungen im September 1965 in Moskau kommt es zwischen Apel und den sowjetischen Wirtschaftsstrategen zu ernsten Kontroversen. Walter Ulbricht ist darüber so sauer, daß er Apel von den weiteren Beratungen ausschließt. Auch an dem Berliner Treffen zwischen Ulbricht, Breshnew und deren Wirtschaftsfunktionären im November 1965 nimmt Apel nicht mehr teil. Da er sich hartnäckig weigert, den Forderungen der Sowjetunion nachzugeben, wird Alfred Neumann, seinerzeit Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates, mit der am 4. Dezember 1965 stattfindenden Unterzeichnung des Handelsvertrages beauftragt. Am Vorabend dieses Vertragsabschlusses beendet Apel sein Leben durch einen Kopfschuß.
Günter Mittag setzt das „Neue Ökonomische System“ fort, freilich ohne an den wirtschaftlichen Verbindlichkeiten mit der UdSSR zu rühren.
Die Ereignisse belegen, daß Apel keineswegs unter einer anhaltend tiefen Depression gelitten hat. Dafür fehlt jegliche Symptomatik. Seine Persönlichkeit war stabil genug, um bis zu seinem Ende hartnäckig die Ideen seiner Wirtschaftskonzeption zu verteidigen. Es liegt somit nahe, daß sein Suizid den Endpunkt eines Prozesses harter Auseinandersetzungen markiert, der letztlich Enttäuschung, Wut, Resignation und Kapitulation ausdrückt. Daß mit dem Freitod möglicherweise zugleich ein Appell an die Nachwelt gerichtet werden sollte, muß nicht im Widerspruch zu einem spontan auftretenden depressiven Zustand stehen. Absolute Rat- und Ausweglosigkeit könnten die Tat kurzschlußartig im Sinne eines sog. Bilanzsuizids ausgelöst haben
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Beim suizidalen Schußwaffengebrauch liegen zwischen Tatentschluß und Durchführung häufig viel kürzere Zeitäume als bei anderen Suizidarten. Dieser phänomenologisch bedeutsame Umstand erklärt sich daraus, daß der Besitz einer Schußwaffe die suizidalen Überlegungen nahezu automatisch auf diese Tötungsart lenkt. Gleichzeitig bildet die sofortige Verfügbarkeit des Tatmittels mit der Spontaneität der Tathandlung einen engen Zusammenhang. Längerfristige Planung und Vorbereitungshandlungen sind dabei nicht erforderlich
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Die Frage aber, ob Apel – wie einst Willy Brandt vermutete – ein „politisches Testament“ hinterlassen hat, wird bei der derzeitigen Beweislage wohl unbeantwortet bleiben müssen. Vielleicht wird sie erneut aufgeworfen, wenn die Behörde des „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes“ in den sichergestellten Archiven des MfS auf die Akte Erich Apel stoßen sollte
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Gas
Fall 1:
Berlin-Friedrichshain, Sonnabend, den 18. Juni 1977 Der sommerliche Morgen erwacht, die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern. Nur in dem Wohnhaus Simon-Dach-Straße 26 herrscht immer noch die Stille der Nacht: Die meisten Bewohner schlafen in den Vormittag hinein. Nur Frau Großkopf, 66, Eisenbahnerwitwe, ist schon auf den Beinen. Sie will zeitig frühstücken, denn es treibt sie hinaus in den Schrebergarten irgendwo nach Pankow. Zum Frühstücksritual gehört die Wochenendausgabe der „Berliner Zeitung“, deshalb verläßt sie ihre Wohnung in der 2. Etage des Seitengebäudes: Die Briefkästen befinden sich unten im Hausflur. In dem kleinen Blechkasten mit ihrem Namensschild findet sie nicht nur die Morgengazette, sondern auch einen mit großen Buchstaben beschriebenen Zettel. Sie kennt diese Schriftzüge und vermutet richtig, daß der alte Walter Mangold, dessen Wohnung eine Etage tiefer direkt unter der ihren liegt, wieder eine wichtige Nachricht für sie hat.
Diesmal aber erstarrt das Blut in ihren Adern, als sie den Zettel liest: „Alarm
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