Elben Drachen Schatten
Grausamkeit?“, wunderte sich Rajin.
„Es handelt sich bei ihnen nicht um Wesen mit Verstand und eigenständigem Willen“, erklärte der Anführer der Vogelmenschen. „Sie gehorchen den Befehlen des berauschten Riesen, und der ist unser Feind und versucht uns vom Antlitz dieses Mondes zu tilgen, seit wir hier sind. Glücklicherweise ist er die meiste Zeit nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, sonst hätte er das längst geschafft. Er ist es auch, der aus diesen Webergesellen heimtückische Mörder macht.“
„Du sprichst von Groenjyr, dem Gott des Schicksals“, stellte Rajin fest.
„Euer Volk erzählt sich viele Geschichten über ihn. Vielleicht kam es früher öfter vor, dass Geschöpfe mithilfe eines der kosmischen Tore von der Drachenerde zum Jademond reisten, wer weiß.“
„Ich möchte mehr über Groenjyr und seine Webergesellen erfahren“, forderte Rajin.
„Er soll sie an einem gewaltigen Teppich weben lassen, und das seit dem Anbeginn der Zeit. So sagen es doch eure Legenden, oder?“
„Das ist richtig.“
„Einige von uns haben versucht, in sein Land vorzudringen. Aber es gibt dort so viele Webergesellen, dass man sich ihrer Übermacht kaum erwehren kann, und sie töten jeden, der sich dem berauschten Riesen nähern will. Angeblich ist es nicht einmal den anderen Göttern gestattet, dessen Land zu betreten.“
„Auch das sind nur Geschichten.“
„Geschichten, die wahr genug sind, um die Seemannen unter uns in Angst und Schrecken zu versetzen und sie davon abzuhalten, das Land auf der gegenüberliegenden Seite des Jademonds aufzusuchen. Allerdings ...“ Sharash verstummte auf einmal, zögerte. Rajin war nicht ganz klar, ob der Geflügelte nur nach den richtigen Worten suchte oder sich noch nicht schlüssig darüber war, ob er sein Wissen wirklich zur Gänze preisgeben sollte.
„Was?“, fragte Rajin.
„Lass uns erst das letzte Stück des Pfades gehen“, schlug Sharash vor.
Als sie unten anlangten, brachten die geflügelten Krieger ihre Jagdbeute ins Dorf, allerdings auch einen Toten. Das Netz, das der Webergeselle auf ihn geworfen hatte, war ihm zum Verhängnis geworden; seine Fäden hatten sich dermaßen stramm gezogen, dass der Geflügelte darin erstickt war.
Die Vogelmenschen stürmten von allen Seiten herbei, und sie erwarteten offenbar von ihrem Anführer, dass er ein paar Worte sagte und dem Toten eine Art Segen auf den Weg ins Jenseits mitgab. Zumindest deutete Rajin das Geschehen so, denn all das fand in jener schrillen Sprache statt, die die Geflügelten untereinander benutzten.
10. Kapitel
Im Land des Schicksalsgottes
Der tote Vogelkrieger wurde in einer schlichten Zeremonie verbrannt, was offenbar dem üblichen Totenritual dieses Volkes entsprach. Der schrille Gesang, den die Vogelmenschen dabei anstimmten, war für die menschlichen Bewohner des Dorfes und für Rajin und seine Gefährten kaum zu ertragen, und so hielten sie sich abseits und sammelten sich am Rande des Dorfes.
Rajin traf dort auf Kallfaer Eisenhammer, der ihm seit ihrer Auseinandersetzung auf der Lichtung stets aus dem Weg gegangen war. „Ich werde das Land Groenjyrs aufsuchen, das sich auf der anderen Seite des Jademondes befinden soll“, erklärte der junge Kaiser eines untergegangenen Reiches. „Und ich möchte dich fragen, ob du den Mut hast, mich zu begleiten.“
Kallfaer sah ihn verwundert an. „Es gibt dieses Land tatsächlich, so wie es auch den Schicksalsteppich gibt, an dem unzählige Webergesellen Tag und Nacht arbeiten“, erklärte er dann. „Sharash war mit einigen anderen Geflügelten dort. Das war noch ganz am Anfang unserer Zeit auf dem Jademond.“
„Dann wirst du mit mir kommen?“
Kallfaer antwortete nicht direkt. „Es ist gefährlich dort“, meinte er.
„Das habe ich schon von Sharash gehört.“
„Nur aus sehr großer Höhe vermochten Sharash und seine Getreuen das Land Groenjyrs zu überfliegen, denn die Webergesellen können ihre Netze aus beseelten Fäden sehr weit abschießen. Dennoch kamen die meisten seiner Begleiter ums Leben, und die anderen schafften die Rückkehr nur mit knapper Not. Allerdings war der Mut, den Sharash dabei unter Beweis stellte, ausschlaggebend für seine spätere Wahl zum Anführer.“
„Was ist? Du hast mir noch keine Antwort gegeben“, drängte Rajin. „Verfluchst du nicht das Schicksal, dein eigenes und vor allem das deiner Angehörigen?“
„Ja, und dieser Fluch trägt deinen Namen, Bjonn Dunkelhaar“, knurrte
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