Elben Drachen Schatten
die Schicksalslinie der Elbenheit, in der diese Zwillinge eine entscheidende Rolle spielten. Ein Faktor, der entscheiden konnte über den Fortbestand oder Untergang der Elbenheit auf diesem Kontinent.
Das, was er zuvor schon geahnt und allmählich zur Gewissheit gereift war, ließ sich einfach nicht mehr ignorieren: Diese Kinder bestimmten das Schicksal der Elbenheit. Zumindest einer von ihnen.
Als seine Mutter ihn während seiner Meditation auf dem Turm antraf, waren Andirs Gedanken so weit weg von dem Ort, an dem sich sein Körper befand, dass er sie gar nicht bemerkte. Dreimal sprach sie ihren Sohn an, und erst beim dritten Mal wandte er den Kopf und schaute in ihre Richtung. Aber er schien durch sie hindurchzuschauen, und Ruwen begriff, dass es keinen Sinn hatte, in diesem Moment mit ihm sprechen zu wollen.
Der Kronrat beriet an drei aufeinander folgenden Tagen darüber, wie man sich gegen weitere Angriffe der Schattenkreaturen verteidigen könne. Nach Auffassung aller musste damit wohl schon in nächster Zeit gerechnet werden.
»Ich habe die Länder der Rhagar bereist, die jetzt allesamt zu Magolas’ Reich gehören«, sagte Lirandil. »Und ich habe versucht, zu jener Stelle im Wald von Karanor zurückzukehren, an der ich einst den Tempel des Xaror entdeckte, von dessen Existenz ich seinerzeit unvorsichtigerweise dem damaligen Kronprinzen Magolas berichtete …«
»Was Euch niemand zum Vorwurf machen kann«, warf Keandir ein.
»Das sehe ich leider nicht so, mein König«, sagte Lirandil.
Doch Keandir widersprach: »Ebenso könnte man mir den Vorwurf machen, den größten Feind der Elbenheit gezeugt zu haben. Es gibt schicksalhafte Verstrickungen, in denen wir alle gefangen sind – auch wenn ich zeitweilig geglaubt habe, das Schicksal selbst schaffen zu können.«
»Ihr konntet es«, sagte Lirandil. »Und Ihr könnt es wieder!«
»Hin und wieder denke ich, dass ich einer Illusion erlegen war.« Keandir Linke legte sich um den Griff Schicksalsbezwingers. »Aber ich gebe zu, dass meine Meinung in dieser Frage sehr schwankend ist. Ich wollte Euch jedoch nicht unterbrechen, werter Lirandil.«
Der nickte seinem König dankend zu. »Nun, es gelang mir also nicht, zum Tempel zurückzukehren. Magolas hat das gesamte Gebiet um dieses uralte Bauwerk mit seinen Soldaten besetzt und bewacht es so eifersüchtig, dass niemand zum Tempel vorzudringen vermag. Die Söldner der Norischen Garde, deren Zahl er verdreifacht hat, sind Magolas treu ergeben. Sie lassen niemanden dorthin.«
»Aber wenn ich Euch recht verstehe, befindet sich dort die Wurzel des Übels«, sagte Prinz Sandrilas.
Lirandil nickte. »Xaror versucht das Dunkle Reich neu zu errichten, und Magolas ist dabei nur sein Werkzeug – so wie es vor ihm der Axtherrscher der Trorks war.«
»Aber noch scheint Xaror einen Statthalter wie Magolas zu brauchen«, stellte Prinz Sandrilas fest.
»Dennoch ist er bereits dazu in der Lage, ein Heer fliegender Schattenkreaturen bis ins Herz Elbianas zu schicken«, wandte Keandir ein.
Sandrilas wandte sich an den König. »Wir werden Thamandors Waffen benötigen, wenn wir nicht wollen, dass das Elbenreich untergeht. Flammenspeere in großer Zahl! Ein Dutzend davon müsste doch in hundert Jahren herzustellen sein!«
Keandir nickte. Auch in ihm war allmählich die Erkenntnis gereift, dass es keine andere Möglichkeit gab, als noch einmal nach Naranduin zurückzukehren und die Steine des magischen Feuers zu sammeln.
»Es verlangt ja niemand von Euch, dass Ihr selbst nach Naranduin geht, mein König«, sagte Sandrilas in das Schweigen, das entstanden war.
»O doch«, widersprach Keandir. »Ich bin es, der das von sich verlangt!«
»Welches Schiff soll ausgerüstet werden und wann?«, erkundigte sich Admiral Ithrondyr.
»Es soll das Flaggschiff sein, die Tharnawn«, bestimmte Keandir. »Sagt Kapitän Garanthor, dass er alles für die Expedition bereitmachen soll. Sobald das Schiff fertig zum Auslaufen ist, werden wir in See stechen!«
Die Mitglieder des Kronrats wechselten sehr erstaunte Blicke. Mit einer so schnellen Reaktion hatte niemand von ihnen gerechnet. Normalweise ließ sich Keandir Zeit mit seinen Entscheidungen.
Keandir bemerkte das Erstaunen in der Runde. Ein verhaltenes Lächeln spielte um seine Züge, die seit den Ereignissen am Elbenturm durch sehr harte Linien geprägt waren; sie hatten sich regelrecht in sein Antlitz gegraben. Doch auf einmal wirkte der Elbenkönig deutlich gelöster, als er sagte:
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