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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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für ein erbärmlich schlechter Lügner er doch war!
    Emerelle erhob sich und ging hinüber zur Brüstung des Balkons. Ihren Bewegungen haftete etwas Schwerfälliges und doch Sinnliches an. Der Klang feiner Silberglöckchen begleitete jeden ihrer Schritte, ohne dass Ollowain ein Schmuckstück entdecken konnte, das der Ursprung dieses metallisch-melodischen Wisperns war. Ihr Kleid war von den Hüften an aufwärts zu eng anliegend, als dass die Glöckchen, unter dem Stoff verborgen, noch hätten schwingen können. Sie musste sie an ihren Beinen tragen. Was bezweckte sie damit?
    Die Königin war barfuß zum Essen gekommen. Ihr Kleid reichte bis knapp oberhalb der Knöchel. Dunkle Muster aus Schlangenlinien schmückten ihre schmalen Füße, aufgemalt mit dem Saft des Dinko-Busches.
    Nein, es waren keine Schlangenlinien, sondern Schlangenleiber, die sich um die zarten Knöchel der Königin wanden und unter dem Saum ihres Kleides verschwanden. Dorthin, wo der lockende Silberklang herrührte.
    Mit spitzen Fingern öffnete Emerelle das schmutzige Stoffbündel.
    Ollowain betrachtete sie nachdenklich. Wäre sie nicht die Königin, er hätte geglaubt, dass sie versuchte, ihn zu verführen. Was war in den verlorenen Jahren geschehen? Was hatte Emerelle so sehr verändert?
    Die Herrscherin versteifte sich. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Sie trat von der Brüstung zurück. Blass. Verstört.
    »Herrin?«
    Sie gebot ihm mit einer fahrigen Geste zu schweigen und starrte das Buch an. Es war totenstill. Selbst der Wind in den Bäumen war verstummt.
    »Es war die linke Hand, die Ganda verloren hat, als du das Buch gestohlen hast?«, fragte die Königin nach langem Schweigen, hörbar um Fassung bemüht.
    »Ja.«
    »War sie Linkshänderin?«
    »Das weiß ich nicht.« Ollowain fragte sich, was diese Fragen mit dem Buch zu tun hatten.
    Die Königin trat wieder an die Brüstung und strich mit den Fingerspitzen über den messingbeschlagenen Ledereinband. »Früher einmal hat man Dieben die Hand abgeschlagen, mit der sie gestohlen hatten. Linkshänder verloren die Linke. So war das Recht ... Ich habe das geändert, wie du weißt. Eine Blutgerichtsbarkeit gibt es nur noch sehr selten.«
    Ollowain wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Auch wenn Emerelle im Volk als eine vorbildliche Herrscherin galt, hatte sie ihn immer wieder durch ihre grausamen Urteile überrascht. Sie waren selten und mochten begründet sein, aber sie passten so gar nicht zu dem Bild der zarten, einfühlsamen Herrscherin, das sie bei den meisten erweckte. Wenn sie in die Enge getrieben war, dann wurde sie sehr gefährlich. Beklommen dachte er an die Nacht, in der sie den Albenpfad durchtrennt hatte. Allein durch diese Tat hatte die Königin mehr Blut an den Händen als jeder Krieger, dem er je begegnet war.
    »Du kennst Meliander, den Fürsten von Arkadien?«, fragte Emerelle unvermittelt. »Er hat dieses Buch geschrieben. Es gibt nur dieses eine Exemplar. Es ist sehr wertvoll, aber ... Es hat ihm den Verstand verwirrt. Er hat sich selbst gerichtet. In einem marmornen Bad, gefüllt mit schwarzer Tinte, hat er sich die Adern geöffnet und seinem Leibdiener die letzten Seiten diktiert, während er langsam verblutete. Der Leibdiener war ein Lutin. Er hat Meliander bestohlen, nachdem sein Herr verstorben war. Das alles liegt sehr lange zurück. Damals waren noch Drachen die Herrscher Albenmarks, und ich war eine fahrende Ritterin in ihren Diensten. Ich war Anklägerin, Richterin und Henkerin für sie. Man hatte mich geschickt, um den Lutin zu finden und zu richten. Er war Linkshänder ...«
    Ollowains Mund war staubtrocken geworden. Er musste an den Falrach-Spieler aus der Bibliothek denken. Den geheimnisvollen Mörder, der jeden Zug schon im Voraus zu kennen schien. Hatte er das arrangiert? Hatte er am Ende gewollt, dass Emerelle das Buch bekam? Oder war es nur ein Zufall? Eine Laune des Schicksals?
    »Das Buch war verschwunden, als ich ihn fand. Ich hätte niemals gedacht, dass er es nach Iskendria brachte. Ich war immer überzeugt, dass er sein Diebesgut verkauft hatte. An irgendeinen reichen Sammler ... Und ich dachte, es wäre seine Diebesehre, die ihn schweigen ließ. Aber Iskendria ... Die Hüter des Wissens zahlen nicht für Bücher. Was hat er davon gehabt, es dorthin zu bringen?« Wie als Antwort erklang ein scharfes, metallisches Klacken. Die Schließen des Folianten waren aufgesprungen.
    »Hast du in dem Buch gelesen?« Ollowains Gedanken überschlugen sich. Er

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