Elfenlicht
weiten, steinernen Brückenbögen stand. Vor ihr wurde das Wasser angestaut, damit die Schaufelräder unter den Brückenbögen auch im Sommer stets mit genug Wasser versorgt werden konnten. Leise quietschend drehten sie sich. In silberweißer Gischt spritzte das Flusswasser von den hölzernen Schaufeln. Die Kraft des Wassers bestimmte den Rhythmus der schweren Schmiedehämmer. Aus dem hohen Schornstein der Schmiede quoll dicker Rauch. Er wurde vom Feuer der Erzschmelze beleuchtet, sodass es schien, als glühe selbst der Rauch.
Irgendwo in der Dunkelheit grölten ein paar Betrunkene.
Misht klopfte gegen das hölzerne Bolzenmagazin, das auf seiner Armbrust steckte. Die fingerdicken Geschosse klapperten leise. Zuunterst hatte er einen Heuler liegen. Die Spitze dieses Bolzens war hohl, und es waren zwei kleine Löcher hineingeschnitten. Wenn das Geschoss flog, gab es einen schrillen, heulenden Laut von sich. In der Schlacht verwendete man solche Bolzen, um die Pferde der gegnerischen Reiterei zu erschrecken. Zwei oder drei von ihnen konnten mehr Schaden anrichten als eine ganze Salve scharfer Geschosse, wenn die Schlachtrösser scheuten und den ganzen Angriff durcheinander brachten. Heute Nacht hatte dieses Geschoss einen anderen Zweck zu erfüllen. Ganz gleich, wie geil sein Hauptmann war und wie sehr die Elfenschlampe unter ihm stöhnte, den Heuler würde Melvyn hören. Das schrille Pfeifen war unverwechselbar. Melvyn würde wissen, dass er in Gefahr war.
Die übrigen Bolzen im Magazin hatten ebenfalls keine scharfen Spitzen. Sie konnten die Gassen von Feylanviek schließlich nicht in ein Schlachtfeld verwandeln. Ein Polster aus geflochtenem Gras saß auf den Spitzen, überzogen mit einem Bezug aus Lumpen. Wer von einem solchen Bolzen am Kopf getroffen wurde, der ging zu Boden. Und wenn man ein Auge traf ... Lieber nicht daran denken.
Die Bolzen würden jedenfalls weniger Schaden anrichten als die schweren, vierkantigen Stahlspitzen, die üblicherweise auf ihnen steckten.
Eine Bewegung im Schlagschatten einer Gaube schreckte Misht aus seinen Gedanken. Tauben, die unruhig gurrten und mit den Flügeln schlugen. Was hatte sie aufgeschreckt? Schlich dort eine Katze übers Dach?
Nossew versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen. Sein schweigsamer Gefährte nickte in Richtung des hohen Ziegelschornsteins bei der Schmiede. Ein Schatten glitt scheinbar schwerelos das Mauerwerk empor.
Die Tauben bei der Dachgaube flogen auf. An einem benachbarten Giebel glitten zwei weitere Schatten entlang.
»Spinnenmänner!« Misht spuckte das Wort aus wie einen Schleimklumpen.
Die Safranvorhänge teilten sich. Melvyn trat auf den Balkon. Er war angezogen. Einen beschisseneren Zeitpunkt hätte sich der Hauptmann nicht aussuchen können. Warum lag er nicht in den Armen seines Flittchens? Sonst war er mit den Weibern doch auch nicht so schnell fertig!
Der Kobold riss den Spannhebel seiner Repetierarmbrust zurück. Leise klackend wurde der Heuler auf die gefettete Führungsschiene gedrückt. Dann richtete er die Waffe zum Himmel und schoss. Heulend zog der Bolzen in die Finsternis davon.
Melvyn duckte sich instinktiv. Keinen Augenblick zu spät. Über ihm schlugen zwei Armbrustbolzen in die Bruchsteinmauer.
Überall rings auf den Dächern konnte Misht jetzt geduckte Gestalten erkennen. Man hatte Melvyn in eine Falle gelockt! Shandral musste geahnt haben, dass der Wolfself in dieser Nacht sein Weib besuchen käme. Und er ging die Sache wenig subtil an.
Nossew zielte auf den Spinnenmann, der am Schornstein der Schmiede hing. Der Kerl hatte die höchste Schussposition rings herum. Wahrscheinlich hatte er sie schon entdeckt. Nossew blickte zu seinem Fähnchen. Der Seidenstreifen hing schlaff vom Zahnstocher herab. Ein leises Singen des Stahlbogens der Armbrust war trotz des Lärms der Schmiedehämmer zu hören. Nossew riss den Spannhebel zurück. Ein neuer Bolzen glitt auf die Führungsschiene.
Misht sah, wie der Kerl am Schornstein die Arme hochriss und stürzte. Sein Schrei ging im stählernen Getöse der Hämmer unter. Von der Schlacht über den Dächern würde kaum jemand etwas mitbekommen, so lange die Wasserräder liefen und die Hämmer nicht zur Ruhe kamen.
Eine Dachpfanne neben ihm zerbarst. Sie waren entdeckt! Misht riss die Repetierarmbrust hoch und feuerte auf einen der Schatten bei der Gaube. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Bewaffnete auf den Balkon von Shandrals Stadthaus stürmten. Doch Melvyn war verschwunden.
IM
Weitere Kostenlose Bücher