Elfenwinter
plötzlich war sie wieder über ihm. Ihre Lippen berührten einander. Das hätte er sich niemals träumen lassen, von einer Elfe geküsst zu werden! Sie wollte sich sicher dafür bedanken, dass er ihre Königin gerettet hatte. Das verfluchte Wolfspferd hätte sicher alle im Langhaus umgebracht.
»Was ist denn das?« Das war Aslas Stimme, dachte Gundar.
»Er hat ein rostiges Kettenhemd an. Los, hilf mir, Erek. Wir müssen es ausziehen.« Die Elfe beugte sich wieder dicht über ihn hinab. Sie hielt eine Wange an seinen Mund. Dann richtete sie sich ein wenig auf und sah ihn mit ihren wunderbaren dunklen Augen an.
»Er atmet nicht mehr.« Die Elfe sprach die Worte in einem lieblichen Singsang. Gundar wollte schmunzeln, doch er war zu müde. Was für schöne Augen! Und die Pupillen. Schwarz wie Holzkohle. Sie schienen ihn aufsaugen zu wollen. Ja… Es wurde schwarz. Fiel er? Nein. Da war ein Licht. Ein Langhaus, ganz aus Gold. Was für eine prächtige Halle! Die großen Flügeltore standen weit offen. Gundar hörte das fröhliche Lärmen einer Festgesellschaft. Und der Geruch von Braten stieg ihm in die Nase. Wasser lief ihm im Munde zusammen. Er hatte viel zu lange schon nicht mehr vernünftig gegessen!
Es würde gut sein, an der Tafel Platz zu nehmen, zu essen und dann ein wenig auszuruhen.
DAS GEBÄNDIGTE FEUER
Landoran hatte ihn durch den steinernen Wald zurück zur Treppe geführt. Der Fürst hätte die Halle des Feuers wohl gerne noch weiter hinter sich gelassen, doch am Treppenabsatz blieb Ollowain stehen.
»Genug!« Bis hierher hatten sie keine Worte gewechselt. Was mit beredtem Schweigen begonnen hatte und mit dem Gefühl, dass sein Vater tatsächlich sein Bestes wollte, als er ihn von den Zauberern fortführte, wuchs sich langsam zu der beklemmenden Stille aus, die seit dem rätselhaften Tod seiner Mutter zwischen ihnen herrschte. »Was geschieht dort in der Halle des Feuers?«
Landoran wirkte noch erschöpfter als sonst. Er ließ sich auf einer steinernen Bank nieder, lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand und verschränkte seine Arme vor der Brust. »Was glaubst du, warum du dich in deiner Kindheit in den Felsenburgen von Carandamon nie mit einem Zauber vor der Kälte schützen musstest? Tief unter dem Eis liegt flüssiges Feuer. Und solange unser Volk in diesem Land des ewigen Eises lebt, nutzen wir die Kraft des verborgenen Feuers. Wir erschaffen Geysire und fangen das kochende Wasser in einem Netz von Röhren auf, das hinter den Felswänden verborgen liegt. Und in den großen Hallen haben wir Pfeiler oder ausgehöhlte Säulen errichtet. Die Wärme aus dem Innern der Erde strahlt so bis in den letzten Winkel unserer Felsenburgen. Doch das Spiel mit dem Feuer hat seine Tücken. Es ist ein wenig wie das Zusam-
menleben mit einer Katze. Sie schenkt dir behagliche Augenblicke, ja manchmal wiegt sie dich sogar in dem trügerischen Gefühl, dass du sie verstehst und ihr Handeln vorausahnen kannst. Und dann, wenn du dich ihrer sicher fühlst, beißt sie dich plötzlich, oder sie schlägt ihre Krallen in dein Fleisch, ohne dass du zu begreifen vermagst, warum sie das getan hat. So ist es auch mit dem Feuer im Herzen der Erde. Jahrhundertelang hat es uns gewärmt. Nun will es uns verbrennen.«
»Ich weiß besser als die meisten unseres Volkes, was es heißt zu frieren!«, entgegnete Ollowain gereizt. »Und ich wusste schon als Kind, woher die Wärme in den Wänden der Felsenburgen von Carandamon kommt! Mir musst du das nicht erzählen, Vater! Ich habe hier auch einmal gelebt. Was ist hier in Phylangan anders? Die Halle des Feuers, so etwas gibt es doch in keiner anderen Felsenburg.«
»Der Steinerne Garten ist Teil eines alten Vulkans. Tief unter unseren Füßen gibt es eine große Höhle voll flüssigem Fels. Sie steht unter Druck, und die Lava drängt in einem verschütteten Schlot nach oben.« Landoran seufzte müde. »Der ganze Berg ist mit einem Netzwerk von Rissen und Spalten durchzogen. Ganz abgesehen von den Röhren, die wir in den Fels getrieben haben, um die Wärme der Tiefe zu nutzen. Nun steigen dort Gase auf. Kochendes Wasser schießt aus den Pfeilern in der Himmelshalle, und Schwefel ist in den See dort aufgestiegen, um alles Leben zu vergiften. Doch all dies ist nur das Vorspiel. Unter unseren Füßen baut sich eine Kraft auf, die den ganzen Berg zerreißen könnte.«
Der Schwertmeister hörte seinem Vater mit wachsendem Entsetzen zu. Diese Neuigkeiten übertrafen seine schlimmsten
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