Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches - Schartz, S: Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches
stellen und redete sich ein, es wäre nur eine weitere Reportage. Die Journalistin durfte nichts Persönliches mehr von sich preisgeben. Sie straffte ihre Haltung und zwang sich zur Beherrschung, verbannte alles, was an ihr zerrte. Dann folgte sie als Letzte durch das Tor, ging einfach durch die Holzverschalung hindurch, ohne sich noch ein letztes Mal umzusehen.
Nadja musste nach Luft schnappen, als sie auf der anderen Seite ankam, und strauchelte. Doch sie fiel nicht. Alles schien plötzlich langsamer zu werden, jedoch nicht schwerer, ganz im Gegenteil. Sie bewegte sich wie in Zeitlupe und fühlte sich leicht. Erstaunt richtete sie sich wieder auf und sah sich um.
Schon einmal hatte sie die Anderswelt betreten, damals in Paris, als Rian Lebenskraft gebraucht hatte. Doch da hatte Nadja den Weg nicht verlassen dürfen, und sie hatte das befremdende Gefühl einer verschobenen Optik gehabt; das Land schien erstarrt zu sein, gleichzeitig nah und fern.
Doch nun war
sie
es, die nicht normal war. Das Land um sie herum wirkte völlig natürlich. Ein wenig gewöhnungsbedürftig war der zwielichtige Himmel mit einer von Nebelschleiern verhangenen, bleichen Sonne, und manche Pflanzen wirkten exotisch, vor allem die orchideenartigen, hoch stehenden Büschel im Gras. Doch es gab Bäume, sanfte Hügel, Buschwerk, und vieles war vertraut. Leider
zu
vertraut, etwa die Verfärbungen des Laubs. Diese farbenprächtigen, mit Gold und silbernen Sprenkeln durchwirkten Blätter waren ein schöner Anblick, solange sie noch am Zweig hielten. Doch unter den Bäumen und Büschen sammelten sich bereits Laubhaufen, durch die ein traurig wimmernder Wind pfiff.
Sehr fremd war der Geruch, der um Nadjas Nase wehte. Vertraute Düfte wie die von altem Laub vermischten sich mit dem undefinierbaren Geruch von Blumen, die sie nicht kannte. Ihre Lungen füllten sich tief damit, und ein absurdes Glücksgefühl überkam sie. Der Geruchssinn kümmerte sich nicht um Tragödien, er freute sich über das, was er empfing.
Insgesamt waren Nadja vielleicht zehn Sekunden geblieben, in denen sie die Eindrücke in sich aufnehmen konnte. Dann riss sie die Realität zurück. Fünf bis an die Zähne bewaffnete und mit Lederharnischen gerüstete Elfen standen ihr gegenüber und hielten ihre Speere auf sie gerichtet. Die Augen der Soldaten waren weit aufgerissen, und sie starrten Nadja unverhohlen an.
»Nehmt den Hochverräter und Mörder fest!«, erklang Grogs Stimme. Der Kobold schubste Darby, der wieder der schmächtige, blonde und blasse Alebin war, auf einen Bewaffneten zu.
»Aus dem Grund sind wir geschickt worden«, sagte dieser und packte den Meidling am Arm. »Wir haben es doch geahnt, Alebin«, zischte er.
Die anderen erinnerten sich endlich an die Sitten des Volkes und verbeugten sich tief vor David, der wie in Trance mit der toten Rian auf dem Arm dastand.
»O Prinz, dürfen wir Euch ...«
»Nein!« unterbrach David fast panisch. »Rührt meine Schwester nicht an! Kommt mir nicht zu nahe!«
Ein grün Gewandeter wies auf Nadja. »Und was soll mit dieser ...«
»Sie gehört zu uns!«, schrie Pirx schrill und sprang mit einem Satz auf Nadjas Schulter. »Richtet eure Speere endlich auf den wahren Übeltäter, den Meidling dort!«
Betretenes Schweigen trat ein. Dann flüsterte einer dem anderen zu: »Die Grenzgängerin.« Und der andere zischte zurück: »Das Mischblut.« Er richtete den Speer wieder auf Nadja. »Du bist verhaftet. Fanmór stellt dich unter Anklage.«
»Weswegen?«, wollte Grog wissen, bevor David oder Pirx etwas sagen konnten.
»Ist schon gut«, sagte Nadja müde. »Damit haben wir doch gerechnet. Ihr braucht mir nicht zu drohen, ich bin unbewaffnet, und ich folge euch freiwillig. Deswegen bin ich hier.«
Für einen kurzen Moment kam Leben in David. »Nehmt eure Waffen herunter!«, fuhr er die Wachen an. »Nadja begleitet mich. Achtet vielmehr auf Alebin, er ist listenreich und hinterhältig!«
»Vielen Dank«, sagte der Meidling und erhielt einen unsanften Stoß, dass seine Ketten klirrten.
»Los, vorwärts!«, befahl der Anführer der Truppe. Sie gingen mit dem Gefangenen voran, die Freunde folgten ihnen.
Nadja tat sich schwer, in den Rhythmus zu finden; immer wieder schien sie in die Luft zu treten und stolperte. Wenn sie dabei mit den Armen ruderte, hatte sie das Gefühl, als höbe sie gleich vom Boden ab.
Pirx blieb auf ihrer Schulter sitzen, aber er lachte nicht wie sonst über ihre Ungeschicklichkeit. Grog achtete auf
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