Elkes Sommer im Sonnenhof
Katjes kühne Renner hatten zeigen müssen, was sie
konnten. Katje war ganz hintendran gewesen, aber kurz vorm Ziel war Achim von
seinem Pferd abgerutscht und hatte beim Fallen Elke, die dicht neben ihm war,
mitgerissen. Anstatt daß sie sich nun beide beeilt hätten, schnell wieder auf
ihre Pferde zu kommen, hatten sie angefangen, sich darüber zu streiten, wer die
Schuld an dem Unfall hätte. Katje hatte sofort ihren Vorteil erkannt, war mit
doppelter Kraft drauflosgepaddelt und dann richtig als erste angekommen. Sie
hatte damit das „Blaue Band des Sonnenhofer Wasserpferderennens“ gewonnen.
Eigentlich hätte übrigens Ali das Band verdient
gehabt. Er schwamm immer mit, wenn’s auf den Seepferden losging, und war auch
heute als erster unter der Trauerweide am Ufer des Sees angekommen, die das
Ziel war.
Die Kinder schwammen und spielten auf ihren
Wasserpferden meistens mittags, wenn ihr Unterricht zu Ende war. Sie hatten bis
zum Mittagessen dann noch eine gute Stunde Zeit. Da die Dorfschule um diese
Zeit auch aus war, stand oft eine ganze Menge Kinder an der Weißdornhecke, die
hier die Grenze des Sonnenhofes bildete, und sah herüber zu den Wasserpferden
und ihren Besitzern. Es hätte mancher gern mitgemacht! Achim kannte die meisten
Kinder mit Namen, er redete auch dann und wann eines von ihnen an; aber er
forderte niemand auf, mitzubaden und mit auf den Pferden zu reiten. - -
Nun waren fast zwei Wochen vergangen, ohne daß
Emilie sich auf dem Sonnenhof hatte sehen lassen, und Elke sagte: „Nein, das
geht nicht so weiter, wir müssen zu Emil hingehen und fragen, warum sie immer
nicht kommt!“
Als sie in Lehrer Rohwedders kleinen
Blumengarten kamen, saß der schmerzlich vermißte Knappe in der Lindenlaube und
stickte. Er hatte eine Tischdecke in Kreuzsticharbeit vor sich, und ein großes
Stück der breiten bunten Blumenkanten war schon fertig.
„Kommst du deshalb nicht mehr?“ fragte Elke, auf
die Stickerei deutend.
Emilie nickte. „Die Decke muß nächste Woche
fertig sein.“
„Warum? Hat deine Großmutter Geburtstag?“
Emilie schüttelte den Kopf.
„Deine Mutter?“
„Nein. Niemand hat Geburtstag.“
„Es ist eine entsetzlich große Decke!“ staunte
Elke. „Machst du für fremde Leute solche Arbeit?“
Emilie stickte weiter und antwortete nicht. Ab
und zu besah sie die Rückseite ihrer Arbeit. Das Handarbeitsgeschäft, für das
ihre Mutter und sie arbeiteten, war streng und verlangte, daß die Rückseite
genauso ordentlich aussah wie die Stickerei vorn.
Katje stieß Elke heimlich an, als wenn sie sagen
wollte: Was stellst du bloß für dumme Fragen! Hast du noch nie gehört, daß
Frauen und Mädchen Handarbeiten machen, um sich Geld damit zu verdienen?
Elke machte auf Katjes vorwurfsvolle Blicke hin
ein betroffenes Gesicht und überlegte sich, wie sie ihre unbedachten Worte
wieder gutmachen könnte.
„Katje und ich könnten dir beim Sticken helfen“,
sagte sie dann zu Emilie.
Emilie schüttelte lächelnd den Kopf. „Ihr könnt
sicher nicht gut genug sticken, und außerdem würdet ihr es schnell satt
kriegen!“
„Wenn du es nicht satt kriegst!“ meinte Elke.
„Bei mir ist es etwas anderes Na, ich kann es
euch ja ruhig sagen“, fügte sie dann mit einem Seitenblick auf Achim hinzu, der
recht großartig mit den Händen in den Hosentaschen dastand. „Ich arbeite für
ein Geschäft. Mein kleiner Bruder in Lübeck und meine kleine Schwester brauchen
beide neue Schuhe und Wäsche. Mein Großvater kann nicht für alles aufkommen, er
bezahlt schon immer so viel für meine Eltern; und da will ich sehen, daß ich
etwas mitverdiene. Wenn ich die Decke fertig habe, bekommt Mutter acht Mark
dafür.“
„So wenig nur?“ wunderte Elke sich.
„Das ist viel!“ sagte Emilie dagegen.
„Du mußt doch lange daran sticken!“
„Reichlich vierzehn Tage, habe ich mir
ausgerechnet. Die acht Mark sind dann aber auch verdient.“
Emilie hatte die Unterhaltung geführt, ohne
einen Augenblick mit dem Sticken innezuhalten.
„Willst du noch mehr Decken sticken, wenn diese
fertig ist?“ fragte Elke.
„Eine mindestens noch.“
„Bekommt dein Vater denn keine Unterstützung?“
warf Achim ein.
„Doch, Unterstützung bekommt er, aber meine
Mutter ist krank gewesen, und meine kleine Schwester auch, und das hat ziemlich
viel gekostet.“
„Gibt dein Vater sich keine richtige Mühe, eine
neue Stellung zu finden?“ Es war wiederum Achim, der das fragte.
Emilie lächelte trübe.
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