Ender 4: Enders Kinder
nicht real bist. Du bist nur Ender in Frauenkleidern, der seine Valentine-Show abzieht. Du trittst von der Bühne ab, und es ist nichts da, es geht ab wie Make-up und ein Kostüm. Und du hast wirklich geglaubt, ich wäre in so etwas verliebt?«
Val schwang sich mit ihrem Sessel herum und wandte ihm den Rücken zu. »Ich glaube beinahe, du meinst diese Dinge ernst«, sagte sie.
»Was ich nicht glauben kann«, sagte Miro, »ist, daß ich sie laut ausspreche. Aber das wolltest du ja von mir, nicht wahr? Ich sollte zum ersten Mal ehrlich zu dir sein, damit du vielleicht ehrlich dir selbst gegenüber sein und erkennen konntest, daß das, was du hast, gar kein Leben ist, es ist bloß ein immerwährendes Eingeständnis von Enders Unzulänglichkeit als Mensch. Du bist die Kindheitsunschuld, die er verloren zu haben glaubt, aber jetzt höre die Wahrheit darüber: Noch bevor sie ihn von seinen Eltern wegholten, noch bevor er zu dieser Kampfschule am Himmel hinaufflog, bevor sie eine perfekte Mordmaschine aus ihm machten, da war er bereits der brutale, skrupellose Killer, der er immer zu sein fürchtete. Das ist eine von den Sachen, die sogar Ender zu verdrängen sucht: Er hat schon einen Jungen umgebracht, bevor er überhaupt Soldat wurde. Er hat diesem Jungen den Kopf eingetreten. Hat ihn getreten und getreten, bis der Kleine nicht wieder aufwachte. Seine Eltern haben ihn nie lebend wiedergesehen. Der Kleine war ein Arschloch, aber er hatte es nicht verdient zu sterben. Ender war von Anfang an ein Killer. Das ist es, womit er nicht leben kann. Das ist der Grund dafür, warum er dich braucht. Das ist der Grund, warum er Peter braucht. Damit er die häßliche, skrupellose Killerseite von sich nehmen und sie ganz auf Peter abwälzen kann. Und er kann dich, die Vollkommene, anschauen und sagen: ›Seht, dieses wunderschöne Geschöpf war in mir.‹ Und wir alle spielen mit. Aber du bist nicht wunderschön, Val. Du bist die mitleiderregende Rechtfertigung eines Mannes, dessen ganzes Leben eine Lüge ist.«
Val brach schluchzend zusammen.
Beinahe, beinahe hätte Miro Mitleid mit ihr verspürt und aufgehört. Beinahe hätte er sie angeschrien: Nein, Val, du bist es, die ich liebe, du bist es, die ich will! Du bist es, nach der ich mich mein ganzes Leben gesehnt habe, und Ender ist ein guter Mensch, weil dieser ganze Unsinn, du seist eine Vorspiegelung, unerträglich ist. Ender hat dich nicht bewußt erschaffen, so wie Heuchler ihre Fassaden erschaffen. Du bist aus ihm erwachsen. Die Tugenden waren da, sind da, und du bist die natürliche Heimstatt für sie. Ich liebte und bewunderte Ender schon vorher, aber erst, als ich dich traf, wußte ich, wie schön er im Innern war. Ihr Rücken war ihm zugewandt. Sie konnte die Qual nicht sehen, die er empfand.
»Was ist, Val? Soll ich dich wieder bemitleiden? Begreifst du denn nicht, daß der einzige denkbare Wert, den du für irgendeinen von uns besitzt, darin besteht, daß du einfach weggehst und Jane deinen Körper überläßt? Wir brauchen dich nicht, wir wollen dich nicht. Enders Aiúa gehört in Peters Körper, weil er der einzige ist, der eine Chance hat, Enders wahren Charakter zur Entfaltung zu bringen. Verpiß dich, Val. Wenn du weg bist, haben wir eine Chance zu überleben. Solange du hier bist, sind wir alle tot. Glaubst du auch nur eine Sekunde, wir würden dich vermissen? Das müßtest du doch besser wissen.«
Ich werde mir nie verzeihen, diese Dinge gesagt zu haben, erkannte Miro. Auch wenn ich um die Notwendigkeit weiß, Ender zu helfen, diesen Körper loszulassen, indem ich ihn zu einem unerträglichen Aufenthaltsort für ihn mache, ändert das nichts an der Tatsache, daß ich mich daran erinnern werde, es gesagt zu haben. Ich werde mich an die Art und Weise erinnern, wie sie jetzt aussieht, während sie vor Verzweiflung und Schmerz weint. Wie kann ich damit leben? Ich dachte, früher sei ich deformiert gewesen. Alles, was damals mit mir nicht stimmte, war ein Gehirnschaden. Aber jetzt – ich hätte keines von diesen Dingen zu ihr sagen können, wenn ich sie nicht schon vorher gedacht hätte. Da liegt der Hase im Pfeffer. Ich habe daran gedacht, diese fürchterlichen Dinge zu sagen. Das ist genau der Mensch‚ der ich bin.
Ender öffnete erneut die Augen, hob dann eine Hand, um Novinhas Gesicht zu berühren, die Schwellungen dort. Er stöhnte auf, als er auch Valentine und Plikt sah.
»Was habe ich euch angetan?«
»Das warst nicht du«, sagte Novinha. »Sie war
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