Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Floß zu diesem... Ding?«, flüsterte ich Aenea zu, als wir vier Meter entfernt am Pier standen. Das Shrike hatte nicht den Kopf gedreht, um uns anzusehen, als wir näher kamen, und seine Augen wirkten so tot wie Reflektoren aus Glas, aber der Drang, mich von dem Ding abzuwenden und wegzulaufen, war sehr stark.
»Wir müssen auf das Floß«, flüsterte das Mädchen zurück. »Wir müssen heute hier weg. Heute ist der letzte Tag.«
Ohne richtig den Bück von dem Monster abzuwenden, schaute ich zum Himmel und den Gebäuden hinter uns auf. Nach dem heftigen Sandsturm der vergangenen Nacht hätte man erwarten sollen, dass der Himmel rosafarbener und mehr Sand in der Luft sein würde, aber der Sturm schien die Atmosphäre ein wenig gereinigt zu haben. Während noch rötliche Wolken von der abklingenden Wüstenbrise fortgeweht wurden, war der Himmel über uns blauer als am Tag zuvor. Inzwischen fiel das Sonnenlicht auf die Spitzen der höchsten Gebäude.
»Vielleicht könnten wir ein funktionstüchtiges EMV finden und stilvoll reisen«, flüsterte ich mit erhobenem Gewehr. »Etwas ohne so eine Kühlerfigur.« Der Witz hörte sich selbst für meine Ohren kläglich an, aber ich musste an jenem Morgen allen Mut zusammennehmen, um überhaupt einen zu machen.
»Komm mit«, flüsterte Aenea und stieg die Eisenleiter von dem Pier auf das arg mitgenommene Floß hinab. Ich beeilte mich, um mit ihr Schritt zu halten, richtete mit einer Hand das Gewehr auf den Albtraum aus Chrom und hielt mich mit der anderen an der alten Leiter fest. A. Bettik folgte uns wortlos.
Mir war nicht aufgefallen, wie mitgenommen und zerbrechlich das Floß wirkte. Die abgesägten Stämme waren an manchen Stellen gesplittert und durchgebrochen, Wasser spülte über den vorderen Teil und schwappte um die riesigen Füße des Shrike, im Zelt lag roter Sand vom Sturm der vergangenen Nacht. Der Aufbau des Steuerruders sah aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen, und die Ausrüstung, die wir an Bord gelassen hatten, wirkte herrenlos. Wir warfen unsere Rucksäcke in das Zelt, blieben unentschlossen stehen, betrachteten den Rücken des Shrike und warteten auf eine Bewegung – drei Mäuse, die ins Körbchen der schlafenden Katze gekrochen waren.
Das Shrike drehte sich nicht um. Seine Rückseite war keineswegs beruhigender als die Vorderseite, davon abgesehen, dass uns die düsteren roten Augen nicht mehr beobachteten.
Aenea seufzte und ging zu dem Ding. Sie hob eine zierliche Hand, berührte die dornige, stacheldrahtumwickelte Schulter aber nicht. Sie drehte sich zu uns um und sagte: »Schon gut. Brechen wir auf.«
»Wie kann es gut sein?«, flüsterte ich ihr hektisch zu. Ich weiß nicht, weshalb ich flüsterte... aber aus irgendeinem Grund war es so gut wie unmöglich, im Beisein dieses Dings normal zu sprechen.
»Wenn es uns heute töten wollte, wären wir schon tot«, sagte das Mädchen nüchtern. Sie ging blass und mit hängenden Schultern zur Backbordseite und nahm eine der Stangen. »Leinen los, bitte«, sagte sie zu A. Bettik. »Wir müssen aufbrechen.«
Der Androide verzog keine Miene, als er in Armeslänge an dem Shrike vorbeiging, die vordere Leine löste und zu einer Schleife zusammenrollte.
Ich löste die Heckleine mit einer Hand und hielt mit der anderen das Gewehr.
Mit der Masse der Kreatur auf dem vorderen Teil hatte das Floß mehr Tiefgang, Wasser schwappte fast bis zum Zelt über die Stämme. Mehrere Stämme vorn und an Backbord hingen lose am Rumpf.
»Wir müssen an dem Floß arbeiten«, sagte ich, nahm das Steuerruder in eine Hand und legte das Gewehr zu meinen Füßen ab.
»Nicht auf dieser Welt«, sagte Aenea, die sich immer noch auf die Stange stützte, um uns in die Mittelströmung zu bringen. »Wenn wir das Portal passiert haben.«
»Weißt du, wohin wir gehen?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Haar wirkte an diesem Morgen stumpf. »Ich weiß nur, dass dies der letzte Tag ist.«
Das hatte sie vor wenigen Minuten gesagt, und ich hatte da dieselbe Beunruhigung wie jetzt verspürt. »Bist du sicher, Spatz?«
»Ja.«
»Aber du weißt nicht, wohin wir gehen?«
»Nein. Nicht genau.«
»Was meinst du damit? Ich meine...«
Sie lächelte matt. »Ich weiß, was du meinst, Raul. Ich weiß, wenn wir die nächsten paar Stunden überleben, werden wir nach dem Gebäude suchen, das ich in meinen Träumen gesehen habe.«
»Wie sieht es aus?«
Aenea machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber dann lehnte sie sich
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