Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Ameisen beobachtete, entwickelte Tom Ray ein Interesse für die Evolution und fragte sich, ob er in einem der frühen Computer Evolution nicht nur nachahmen, sondern eine echte Evolution erschaffen konnte. Keiner der Cyberpukes, mit denen er sprach, interessierte sich für seine Idee, daher brachte er sich selbst das Computerprogrammieren bei. Die Cyberpukes sagten, dass es in Computern andauernd zu Kodesequenzen kam, die sich entwickelten und mutierten – man nannte sie Bugs oder vermurkste Programme. Sie sagten, wenn sich Kodesequenzen zu etwas anderem entwickelten, würden sie mit ziemlicher Sicherheit funktionsuntüchtig, nicht lebensfähig, wie die meisten Mutationen, und würden nur die Funktion der Computersoftware beeinträchtigen. Also schuf Tom Ray einen virtuellen Computer – einen simulierten Computer in einem echten Computer – für seine Kodesequenzen-Schöpfungen. Und dann schuf er eine echte 80-Byte-Kodesequenz-Kreatur, die sich in diesem Computer in einem Computer vermehren, sterben und weiterentwickeln konnte.
Dieser 80-Byter kopierte sich zu anderen 80-Bytern. Diese 80-Byte-Proto-KI-Zellen hätten ihr virtuelles Universum bald zum Bersten gefüllt, wie Entengrütze auf Entengrütze im Tümpel eines elysischen Gefildes der frühen Erde, aber Tom Ray gab jedem 80-Byter eine Datenplakette, mit anderen Worten, er gab ihnen ein Alter, und er programmierte einen Henker ein, den er den Schnitter nannte. Der Schnitter wanderte durch dieses virtuelle Universum und sammelte alte 80-Byte-Critters und nicht lebensfähige Mutationen.
Aber die Evolution versuchte, wie es ihre Art ist, den Schnitter zu überlisten. Ein mutiertes 79-Byte-Geschöpf erwies sich nicht nur als lebensfähig, sondern vermehrte sich bald rascher und effizienter als die 80-Byter. Die Hyperlifer, Vorfahren unserer Core-KIs, waren gerade erst geboren, aber sie optimierten bereits ihre Genome. Wenig später hatte sich ein 45-Byte-Organismus entwickelt und die früheren künstlichen Lebensformen so gut wie ausgerottet. Tom Ray, als ihr Schöpfer, fand das seltsam. 45-Byter besaßen nicht genügend Kode, um eine Vermehrung zuzulassen. Mehr noch, die 45er starben aus, als die 80er verschwanden. Er nahm eine Autopsie an einer der 45er-Kreaturen vor.
Es stellte sich heraus, dass alle 45-Byter Parasiten waren. Sie borgten den benötigten Reproduktionskode von den 80ern, um sich selbst zu kopieren.
Die 79er, stellte sich heraus, waren gegenüber den 45er-Parasiten immun.
Aber als die 80er und 45er in ihrer koevolutionären Abwärtsspirale ihrer Auslöschung zustrebten, tauchte ein Mutant der 45er auf. Es war ein 51er-Parasit, der den lebensfähigen 79ern auflauern konnte . Und so ging es weiter.
Ich erwähne das alles, weil es wichtig ist, zu verstehen, dass von Menschen geschaffenes künstliches Leben und künstliche Intelligenz von Anfang an einen parasitären Charakter hatte. Es war mehr als parasitär – es war hyperparasitär. Jede neue Mutation führte zu Parasiten, die über frühere Parasiten herfielen. Binnen weniger Milliarden Generationen – das heißt, CPU-Zyklen – war dieses künstliche Leben hyper-hyper-hyperparasitär geworden. Wenige Standardmonate nach seiner Erschaffung von Hyperlife entdeckte Tom Ray 22-Byte-Kreaturen, die in seinem virtuellen Medium gediehen – Kreaturen, die algorithmisch derart effizient waren, dass menschliche Programmierer, die Tom Ray darauf ansetzte, als größte Näherung eine 31-Byte-Version erschaffen konnten. Nur Monate nach ihrer Schöpfung hatten die Hyperlife-Geschöpfe eine Effizienz entwickelt, die ihre Schöpfer nicht nachvollziehen konnten!
Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts existierte eine blühende Biosphäre künstlichen Lebens auf der Alten Erde, und zwar sowohl in der in rascher Evolution begriffenen Datensphäre als auch in der Makrosphäre des menschlichen Lebens. Obwohl die Durchbrüche bei DNA-Computern, Blasenerinnerungen, Parallelprozessoren mit stehenden Wellenfronten und Hypernetzwerken gerade gemacht wurden, hatten menschliche Designer erstaunlich erfinderische Einheiten auf Silikonbasis geschaffen. Und sie hatten sie zu Milliarden geschaffen. Mikrochips waren in allem, von Stühlen über Bohnendosen in den Supermarktregalen bis hin zu Bodenautos und künstlichen menschlichen Körperteilen. Die Maschinen waren immer kleiner und kleiner geworden, bis es in jedem durchschnittlichen Haus oder Büro der Menschen Zehntausende davon gab.
Der Stuhl einer Bürokraft
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