Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
sagt Aenea. »Aber ich denke, es wird George sein müssen. Er redet. Vielleicht wird Jigme uns begleiten und vor dem Palast warten.«
»Das sind acht«, sage ich.
Aenea nimmt meine Hand. Ihre Finger sind rau von Arbeit und Aufschürfungen, aber ich halte sie nach wie vor für die weichsten und elegantesten menschlichen Finger im bekannten Universum. »Ich bin Nummer neun«, sagt sie. »Es wird eine riesige Menschenmenge da sein – Gruppen aus allen Städten und Provinzen dieser Hemisphäre. Die Chancen stehen gut, dass wir niemandem vom Pax näher als zwanzig Meter kommen.«
»Oder dass wir als Erste vorgestellt werden«, sage ich. »Murphys Gesetz und so.«
»Ja«, sagt Aenea, und das Lächeln, das ich sehe, ist genau dasjenige, das ich im Gesicht meiner elfjährigen Freundin gesehen hatte, wenn etwas Schelmisches und möglicherweise ein wenig Gefährliches angesagt war.
»Möchtest du mein Begleiter sein?«
Ich atme aus. »Um nichts in der Welt würde ich das verpassen wollen«, sage ich.
18
In der Nacht vor dem Empfang des Dalai Lama bin ich müde, kann aber nicht schlafen. A. Bettik ist nicht da; er hält sich mit George und Jigme und den dreißig Tonnen Baustoff, die gestern eintreffen sollten, aber durch einen Streik der Träger in der Stadt in der Kluft aufgehalten wurden, in Jokung auf. A. Bettik wird am Morgen neue Träger einstellen und die Prozession die letzten paar Kilometer bis zum Tempel führen.
Rastlos wälze ich mich von meinem Futon, schlüpfe in eine Kordhose, ein ausgebleichtes Hemd, meine Stiefel und die leichte Thermojacke. Als ich aus meiner Schlafpagode trete, bemerke ich das warme Lampionlicht, das die milchigen Fenster und die Shoji-Tür von Aeneas Pagode erleuchtet.
Sie arbeitet wieder lange. Ich trete behutsam auf, um sie nicht zu stören, indem ich die Plattform zum Vibrieren bringe, und klettere die Leiter zur Hauptebene des Tempels, der in der Luft hängt, hinunter.
Mich erstaunt immer wieder, wie verlassen dieser Ort nachts ist. Zuerst dachte ich, es würde daran liegen, dass die Bauarbeiter – die überwiegend in den Felsnischen um Jo-kung leben – fort waren, aber mir ist klar geworden, wie wenig Menschen die Nacht in der Tempelanlage verbringen.
George und Jigme schlafen für gewöhnlich in der Hütte der Vorarbeiter, sind aber heute Nacht mit A. Bettik in Jo-kung. Abt Kempo Ngha Wang Tashi bleibt in manchen Nächten in der Unterkunft der Mönche, aber heute Nacht ist er in sein offizielles Zuhause in Jo-kung zurückgekehrt. Eine Hand voll Mönche, darunter Chim Din, Labsang Samten und die Frau, Donka Nyapso, ziehen ihre asketischen Quartiere hier dem offiziellen Kloster in Jo-kung vor. Gelegentlich übernachtet der Flieger Lhomo im Quartier der Mönche oder in einem leer stehenden Schrein, aber heute nicht. Lhomo ist früh in den Winterpalast aufgebrochen, nachdem er davon gesprochen hat, den Nanda Devi südlich von Potala zu besteigen.
So kann ich zwar den sanften Lichtschein eines Lampions aus den Unterkünften der Mönche Hunderte Meter entfernt auf der untersten Ebene am östlichen Rand des Komplexes sehen – ein Leuchten, das vor meinen Augen gelöscht wird –, aber der Rest der Tempelanlage ist dunkel und ruhig im Sternenlicht. Weder das Orakel noch die anderen hellen Monde sind aufgegangen, aber ihr erstes Licht ist am östlichen Horizont zu sehen.
Die Sterne sind unglaublich hell, fast so strahlend und ruhig, als würde man sie aus dem Weltraum sehen. Tausende sind heute Nacht zu sehen – mehr als ich, soweit ich mich erinnern kann, je am Himmel von Hyperion oder der Alten Erde gesehen habe –, und ich recke meinen Hals, bis ich den langsam sich bewegenden Stern sehen kann, der in Wahrheit der winzige Mond ist, wo sich das Schiff vermutlich verbirgt. Ich trage das Komlog/Diskey-Tagebuch bei mir, und es wäre nur ein Flüstern erforderlich, um das Schiff anzusprechen, aber Aenea und ich haben beschlossen, da der Pax so nahe ist, sollten selbst Richtstrahlübertragungen vom und zum Schiff Notfallsituationen vorbehalten bleiben.
Ich hoffe von ganzem Herzen, dass es so bald nicht zu einer Notfallsituation kommen wird.
Ich klettere die Leitern, Treppen und kurzen Brücken an der Westseite des Tempelkomplexes hinab und gehe auf dem Sims aus Fels und Backstein unter den tiefsten Gebäuden zurück. Der Nachtwind ist aufgekommen, und ich kann das Ächzen und Quietschen der Holzbalken hören, als ganze Plattformebenen sich dem Wind und der Kälte anpassen.
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