Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
aus.«
    »Das tun sie meist nicht«, sagte Phil, dann, zögernd: »Er behauptet, Bigfoot, diesen Schneemenschen, gesehen zu haben.«
    Sie lachte. »Ja, hin und wieder kommen Leute und behaupten das. In Wirklichkeit hat er einen Bären gesehen, was denn sonst.«
    »Wahrscheinlich.«
    Melissa sah ihn einen Augenblick lang scharf an. Phil errötete unter ihrem Blick. Sie lächelte: »Das ist Ihnen doch klar, oder?«
    »Selbstverständlich«, sagte er ungeduldig.
    Jetzt war nicht der Augenblick, etwas aufs Tapet zu bringen, was Phils Onkel einmal im tiefen Wald oben im Gebirge gesehen hatte oder glaubte gesehen zu haben. Keiner hatte das ernst genommen, außer vielleicht Phil, der damals noch klein gewesen war. Sein Onkel gab es schließlich auf, diese Geschichte weiter zu erzählen. Mehr als ein halbes Dutzend Städte oben in den Cascade Mountains hatten ihre eigenen Legenden von Bigfoot, und an den Landstraßen gab es viele Raststätten, wo mit Pappkameraden in Gestalt haariger Unholde für Kaffee und Muffins geworben wurde. Aber nicht in Sheffer. Hier in der Gegend glaubte keiner an Bigfoot. Oder, wie der Chef sagte, Bigfoot war Schwachsinn. Eine Masche, mit der bestimmte Touristenorte für sich warben, weiter nichts, aber Sheffer gehörte nicht zu dieser Sorte. Sheffer war ruhig und gepflegt und hatte einmal sogar als Kulisse für eine schnurrige Fernsehserie gedient. Hier gab es das Eisenbahnmuseum mit seinen alten Waggons und nette Restaurants, wo nur nette Leute essen gingen. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Vor allem der Chef wollte es so.
    Doch nun hatten mehr als ein Dutzend Leute auf der Straße gestanden, als dieser Kauz namens Kozelek das ominöse Wort ausgesprochen hatte, und es waren nicht nur Einheimische gewesen. Bis zum Abend könnten einige die Neuigkeit gegenüber Verwandten und Bekannten weitererzählt haben.
    Phil wusste, was der Chef von solchen Gerüchten hielt, und hätte Kozelek gern in sicherer Verwahrung gehabt, ehe dieser von Bigfoot zu faseln begann. Nichts gegen ein bisschen Publicity: Wenn man darauf hinweisen konnte, dass in den letzten Jahren mehrere Fernsehstars in Sheffer übernachtet hatten, dann war das prima. Wenn hingegen Reporter hier auftauchten und die Stadt als ein Kopf voll geldgieriger Provinzler porträtierte, wäre das weniger schön. Phil war daher erfreut zu hören, dass der Chef, als er ihn auf seinem Handy anrief, versprach, spätestens am frühen Nachmittag wieder in Sheffer zu sein.
    »Ich schau mal, ob der Mann noch etwas von Izzys Hühnersuppe braucht«, sagte er, und Melissa nickte dazu.
    Sie beobachtete, wie Phil in den Raum nebenan ging, sich ans andere Ende des Tisches setzte und leise zu dem dort sitzenden Mann sprach. Sie glaubte, dass Kozelek wegen der Nachwirkungen der Tablettenvergiftung untersucht werden sollte, doch er weigerte sich hartnäckig, ins Krankenhaus zu gehen, und zwingen konnte sie ihn nicht. Er hatte drei sehr kalte Tage und Nächte in den Wäldern überlebt und einen langen Fußmarsch in schwierigem Gelände hinter sich. Für einen Mann, der sich dort draußen das Leben nehmen wollte, machte er sogar einen recht guten Eindruck. Vieles sprach dafür, dass er wegen des Selbstmordplans mit einem Psychologen sprechen sollte, aber auch das konnte sie ihm nicht verordnen. Im Stillen dachte sie, dass die Selbstmordgedanken und das Gerede von einer Begegnung mit einer unbekannten Art verschwinden würden, sobald sein Kopf vom Alkoholnebel gänzlich befreit war. Dann konnte man ihn zurück nach L.A. verfrachten oder woher er sonst gekommen war, und das Leben in Sheffer würde wieder seinen gewohnten Gang gehen.
    Sie wollte sich schon zum Gehen wenden, da sah sie etwas auf dem Grund des offenen Rucksacks. Sie blieb stehen und schaute genauer hin. Unter den Glasscherben und den aufgeweichten Resten der Tablettenschachteln war etwas, das wie kleine Sträuße getrockneter Blumen aussah.
    Sie nahm einen davon heraus und sah, dass es gar keine Trockenblumen waren, sondern eher schmutzige Stiele. Das Zeug musste in den Rucksack geraten sein, als der Mann durch den Wald geprescht war und dabei Zweige von Büschen und Bäumen gerissen hatte.
    Möglich, aber es sah auch so aus, als ob es von einem Händler an der Straße gekauft worden und dann aus der Tüte gefallen wäre.
    Hier war ein Mann, der behauptete, etwas Unglaubliches gesehen zu haben, der vorher versucht hatte, in eine Bar einzubrechen, und der in seinem Rucksack ein Naturprodukt herumtrug.

Weitere Kostenlose Bücher