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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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er am Abend vor seiner Auszeit angerufen hatte; das sprach Bände über seinen Geisteszustand. Wohl eher nicht, gewiss hatte er nicht der Versuchung nachgeben wollen, ominöse Andeutungen zu machen. Jetzt schuldete er Sarah einen Anruf, er sollte ihr sagen, dass es ihm gut gehe, doch dann merkte er, dass sie eigentlich keinen Grund hatte, das Gegenteil zu befürchten. Dass er nichts von sich hören ließ, bestätigte nur wieder das Urteil »Tom ist ein Vollidiot«. Wie gern hätte er ihr die große Neuigkeit mitgeteilt. Er musste es jemandem sagen, und eine der großen Einsichten während seiner Auszeit bestand darin, dass ihm Sarah immer noch sehr viel bedeutete. Er musste ihr ja nicht erzählen, warum er in die Wildnis gegangen war (obwohl sie später dahinterkommen könnte, deshalb musste er für dieses Geständnis Raum lassen); er würde nur sagen, was er gesehen hatte. Zwar hielt er mit Zähnen und Klauen an dem fest, was er draußen im Wald empfunden hat, nämlich eine gefährliche, aber wertvolle Erfahrung gemacht zu haben, doch sobald er darüber sprach, klang alles falsch.
    Sonst gab es keinen Grund, zu Hause anzurufen, und nichts Neues zu berichten. Aber worauf lief diese Neuigkeit denn hinaus?
Dieses merkwürdige Wesen, von dem jeder weiß, dass es das gar nicht gibt, dieses haarige Ungeheuer, das sich bislang immer als Falschmeldung entpuppt hat, ich habe es gesehen. Ich war diesem legendären Ungeheuer ganz nah. Es stand über mir, ich konnte seinen schrecklichen Atem riechen. Zumindest meine ich das – ich war nämlich volltrunken und halb im Koma und schon an der Schwelle des Todes. Und Fußspuren habe ich auch gesehen. Vielleicht aber auch nicht. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe auch Stimmen gehört. Das also ist die große Neuigkeit.
PS
: Ich liebe dich.
    Damit wollte er ihre Achtung zurückgewinnen? Sie würde bestimmt gleich den Hörer weglegen und an seine Seite eilen. Mein tapferer Entdecker. Mein … dummer, närrischer Mann.
    Nein. Was sie schon wusste, war nicht gut, aber doch nicht so schlecht wie das, was sie eines Tages erfahren würde. Damit seine Botschaft eine Chance hatte, gegen alles andere zu bestehen, musste alles von Anfang an richtig sein. Sie musste ihm allen Einwendungen zum Trotz Glauben schenken. Er durfte sie jetzt, da ihn alle für einen Spinner hielten, nicht anrufen. Er mochte ihr nicht einmal eine SMS schicken. Wenn er mit ihr wieder sprechen wollte, dann musste es von Anfang an auf einem hoffnungsvollen Weg geschehen. Aber wie lange er auch auf dem Balkon stand und grübelte, er wusste nicht, wo ein solcher Weg beginnen konnte.
    Das Auto fuhr in einem sanften Bogen auf den Parkplatz und hielt genau in der Mitte. Die Tür auf der Fahrerseite ging auf, und ein Mann stieg aus. Er war etwas über Durchschnitt groß, hatte braunes, gut geschnittenes Haar und sah städtisch aus.
    Er schaute zum Balkon herauf und winkte kurz. »Sie sind nicht zufällig Tom Kozelek?«
    Tom sah ihn einen Augenblick stirnrunzelnd an. »Ja, der bin ich«, sagte er schließlich. »Und wer sind Sie?«
    Der Mann lächelte. »Das ist aber eine Überraschung. Ich komme von weither, um mit Ihnen zu reden, und da stehen Sie plötzlich vor mir.«
    »Richtig. Aber wer sind Sie denn nun eigentlich?«
    Der Mann zückte eine Karte aus seiner Brieftasche und hielt sie hoch. Zum Lesen war die Entfernung zu groß, aber das Logo kam Tom bekannt vor.
    »Ich möchte gern Ihre Geschichte hören«, sagte er. »Soll ich zu Ihnen hinaufkommen, oder erlauben Sie, dass ich Sie zu einem Bier einlade?«
     
    Um drei viertel sieben saß Al Connelly immer noch an seinem Schreibtisch in der Polizeiwache. Eigentlich hatte er keinen Grund, noch dort zu sein. Phil hatte Feierabend, aber sein zweiter Deputy, Conrad, tat Dienst. Connelly hätte schon zu Hause sein können, nur gab es dort, um die Wahrheit zu sagen, herzlich wenig zu tun. Schließlich wollte er sich doch erheben und heimwärts streben, als es plötzlich klopfte. Er schaute auf und erkannte Melissa Hoffman draußen vor der Tür.
    »Frau Doktor«, sagte Connelly, »was kann ich für Sie tun?«
    »Oh, eigentlich ist es gar nicht der Rede wert«, begann sie. »Nur … also, ich habe etwas herausgefunden und dachte mir, dass ich es Ihnen mitteilen sollte.«
    Er schaute zur Kaffeemaschine in der Ecke und sah, dass die Kanne noch halb voll war. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
    Sie nickte und setzte sich zaghaft. Alle taten das hier. Ganz gleich, wie locker sie

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