Engelslicht
Funkeln von einer Million Weihnachtslichtern. Es wimmelte vor seltsamen Autos und eiligen Fußgängern, die im Gegensatz zu Luce an das Stadtleben gewöhnt waren. In der Ferne erhoben sich Berge, und breit floss die Donau durch die Stadt. Als Luce mit Daniel hinunterschaute, hatte sie das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Sie war nicht sicher, wann, aber in ihr wuchs das immer vertrauter werdende Gefühl eines Déjà-vu.
Sie konzentrierte sich auf den schwachen Lärm, der vom geschäftigen Treiben des Christkindlmarktes auf dem runden Platz vor der Hofburg herrührte, auf die Art, wie die Kerzen in ihren runden roten und grünen Glaslaternen flackerten, wie die Kinder einander nachliefen und Holzhunde auf Rädern hinter sich herzogen. Dann geschah es: Sie erinnerte sich mit einer Welle der Befriedigung daran, dass Daniel ihr einmal genau dort unten dunkelrote Haarschleifen aus Samt gekauft hatte. Die Erinnerung war schlicht, freudig und ihre.
Luzifer konnte sie nicht haben. Er konnte sie ihr nicht wegnehmen – oder irgendeine andere Erinnerung. Nicht von Luce, nicht von der großartigen, überraschenden, unvollkommenen Welt, die sich unter ihr ausbreitete.
Sie strotzte vor Entschlossenheit, ihn zu besiegen, und vor dem Zorn zu wissen, dass all dies wegen seiner Machenschaften, und weil sie seine Wünsche zurückgewiesen hatte, vielleicht verschwinden würde.
»Was ist los?« Daniel legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Luce wollte es nicht sagen. Daniel sollte nicht wissen, dass sie sich jedes Mal, wenn sie an Luzifer dachte, vor sich selbst ekelte.
Der Wind brauste um sie herum und teilte den Nebel, der über der Stadt lag, sodass in einiger Entfernung ein sich langsam drehendes Riesenrad zu sehen war. Menschen fuhren in ihm im Kreis herum, als würde die Welt niemals untergehen, als würde das Rad sich ewig drehen.
»Ist dir kalt?« Daniel legte seinen weißen Flügel um sie. Sein übernatürliches Gewicht fühlte sich irgendwie erdrückend an und erinnerte sie daran, dass ihre Unzulänglichkeiten als Sterbliche – und Daniels Sorge wegen ihnen – sie aufhielten.
Die Wahrheit war, dass Luce schrecklich fror, Hunger hatte und müde war, aber sie wollte nicht, dass Daniel sie verhätschelte. Sie hatten wichtige Dinge zu tun.
»Mir geht es gut.«
»Luce, wenn du müde bist oder Angst hast …«
»Ich sagte, es geht mir gut, Daniel«, blaffte sie. Das hatte sie nicht gewollt und es tat ihr sofort leid.
Durch den Nebel konnte sie verschwommen Pferdekutschen mit Touristen ausmachen, und die schwachen Umrisse von Menschen, die ihrem Leben nachgingen. Genau das, worum Luce sich so sehr bemühte.
»Habe ich mich zu oft beklagt, seit wir die Sword & Cross verlassen haben?«, fragte sie.
»Nein, du warst unglaublich …«
»Ich werde nicht sterben oder ohnmächtig werden, nur weil es kalt und nass ist.«
»Das weiß ich.« Daniels Direktheit überraschte sie. »Ich hätte wissen sollen, dass du es auch weißt. Im Allgemeinen werden Sterbliche von den Bedürfnissen und Funktionen ihres Körpers eingeschränkt – Essen, Schlaf, Wärme, Schutz, Sauerstoff, nagende Angst vor dem Tod und so weiter. Deswegen wären die meisten Menschen nicht bereit, diese Reise zu machen.«
»Ich habe einen langen Weg hinter mir, Daniel. Ich will hier sein. Ich hätte dich nicht allein gehen lassen. Wir waren uns einig.«
»Gut, dann hör mir zu: Es liegt in deiner Macht, dich von den Fesseln der Sterblichkeit zu befreien. Frei von ihnen zu sein.«
»Was? Ich brauche mir wegen der Kälte keine Gedanken zu machen?«
»Nein.«
»Gut.« Sie stopfte ihre eisigen Hände in ihre Jeanstaschen. »Und Apfelstrudel?«
»Triumph des Geistes über die Materie.«
Ein zögerndes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Nun, wir haben ja schon festgestellt, dass du für mich atmen kannst.«
»Unterschätze dich nicht.« Daniel lächelte kurz zurück. »Es hat mehr mit dir zu tun als mit mir. Versuche es mal: Sage dir, dass dir nicht kalt ist, dass du keinen Hunger hast und nicht müde bist.«
»In Ordnung.« Luce seufzte. »Mir ist nicht …« Sie begann ungläubig zu murmeln, aber dann fing sie Daniels Blick auf. Daniel, der glaubte, dass sie Dinge tun konnte, von denen sie nie gedacht hätte, dass sie dazu fähig sei, der glaubte, dass ihre Willenskraft den Unterschied ausmache zwischen Heiligenschein haben und Heiligenschein fallen lassen. Sie hielt ihn in den Händen. Beweis.
Jetzt sagte er ihr, dass sie menschliche
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