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Engelslicht

Engelslicht

Titel: Engelslicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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bestanden aus schimmerndem senffarbenem Marmor, wie auch die dicken, quadratischen Pfeiler in der Mitte des Raums. Sie betrachtete kurz eine lange Reihe von Oberlichtern aus Milchglas, die sich an der gewaltigen Decke in einer Höhe von zwölf Metern erstreckten. In dem Glasdach klafften große Löcher, durch das der bewölkte Nachthimmel zu sehen war. Das musste die Stelle sein, an der sie und der Engel hindurchgekracht waren.
    Das musste der Museumsflügel sein, den die Waage übernommen hatte, von dem Vincent Daniel auf dem Kupferdach erzählt hatte. Das bedeutete, dass Daniel draußen sein musste – und Arriane und Annabelle und Roland sollten irgendwo drinnen sein! Ihr Herz wurde leicht, dann schwer.
    Der Outcast hatte gesagt, dass man ihnen die Flügel gefesselt hatte. Waren sie in der gleichen Verfassung wie sie, Luce? Es frustrierte sie, dass sie es bis hierher geschafft hatte, ihnen aber nicht helfen konnte, dass sie sich bewegen musste, um sie zu retten, dass aber jede Bewegung ihr Leben in Gefahr brachte. Es gab vielleicht nichts Schlimmeres, als nicht in der Lage zu sein, sich zu bewegen.
    Vor ihr erschienen die schlammbespritzten schwarzen Stiefel des Waage-Engels. Luce spähte zu ihm empor. Er bückte sich und strömte einen Geruch nach fauligen Mottenkugeln aus, als er ihr einen anzüglichen Blick zuwarf. Seine schwarz behandschuhte Hand streckte sich nach ihr aus.
    Dann fiel die Hand des Engels schlaff herab – als sei er k. o. geschlagen worden. Er stürzte nach vorn, krachte schwer gegen die Werkbank, schob sie zurück und brachte Luce zum Vorschein. Der abgetrennte Kopf der Skulptur, der den Waage-Engel offenbar getroffen hatte, kullerte auf schauerliche Weise über den Boden, bis er neben Luce zu liegen kam und sie anzustarren schien.
    Als Luce sich wieder unter den Tisch rollte, nahm sie aus dem Augenwinkel unscharf weitere blaue Flügel wahr. Noch mehr Waage-Engel. Vier von ihnen flogen in loser Formation auf eine Nische zu … wo Luce jetzt Emmet stehen sah. Er schwenkte eine lange silberne Säge.
    Emmet musste den Kopf geworfen haben, der sie vor der Waage gerettet hatte! Er war der Eindringling, dessen Eintritt durch die Decke ihren Entführer erzürnt hatte. Luce hätte nie gedacht, dass sie sich so darüber freuen würde, einen Outcast zu sehen.
    Emmet war umringt von Skulpturen auf Sockeln und Podesten, einige mit Tüchern verhängt, andere eingerüstet, eine frisch enthauptet – und von vier unwahrscheinlich alten Waage-Engeln, die dicht neben ihm in der Luft schwebten, die Umhänge ausgebreitet wie schäbige Vampire. Diese steifen schwarzen Mäntel schienen ihre einzige Waffe zu sein, ihr einziges Werkzeug, und Luce wusste genau, dass es ein brutales Werkzeug war. Ihre schmerzhafte Atmung war der Beweis.
    Sie unterdrückte einen Aufschrei, als Emmet einen Sternenpfeil aus dem Köcher unter seinem Trenchcoat zog und ihn vor sich hielt. Daniel hatte den Outcasts das Versprechen abgenommen, die Waage nicht auszumerzen!
    Die Waage-Engel wichen langsam vor Emmet zurück und zischten so laut »Gemein! Gemein!«, dass der Engel, der Luce gefangen hatte, sich auf dem Tisch über ihr zu regen begann. Dann tat der Outcast etwas, das alle anderen erstaunte. Er richtete den Sternenpfeil gegen sich selbst. Luce hatte Daniel in Tibet lebensmüde erlebt, daher kannte sie dieses Gefühl größter Verzweiflung, das mit einer so extremen Geste einherging. Aber Emmet wirkte so selbstbewusst und trotzig wie immer, als er von einem ledrigen Waagegesicht zum anderen sah.
    Die Waage-Engel wurden von Emmets seltsamem Verhalten ermutigt. Sie schwebten immer näher heran wie Geier, die sich einem Kadaver auf einem Highway in der Wüste näherten. Wo waren die anderen Outcasts? Wo war Phil? Hatte die Waage sie bereits erledigt?
    Die Waage-Engel versperrten Luce die Sicht auf den dünnen Outcast. Ein Reißen wie von dickem, schwerem Stoff war zu hören. Die Waage-Engel schwebten regungslos, ihre breiten, sich überlappenden Umhänge wie das klaffende Maul eines Verkünders, der an einen schrecklichen und traurigen Ort führte. Dann ein weiteres Geräusch, als würde etwas aufgeschlitzt, und danach wieder ein Reißen – und auf einmal wirbelten vier Engel der Waage wie Stoffpuppen auf Luce zu, die Kiefer schlaff, die Augen offen, die Umhänge zerfetzt und aufgerissen, sodass die schwarzen Herzen und schwarzen Lungen, die krampfhaft zuckten und aus denen Blut strömte, entblößt waren.
    Daniel hatte den Outcasts

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