Entfuehrt
unsichtbare Hand.
Jeannie hatte Cal die Lüge erzählen lassen. Sie hatte beobachtet, wie Erleichterung in Isabelle aufstieg, weil sie glaubte, was sie glauben wollte.
Du schuldest ihr das.
Sie berührte das Medaillon, das sie um den Hals trug. Darin befand sich auf der einen Seite ein Foto von Isabelle, auf der anderen eins von James. Er hätte nie zugelassen, dass sie Isabelle belog.
Acht Jahre hatten sie gemeinsam verbringen dürfen. Seit dreiundzwanzig Jahren war er nun fort, und die Erinnerungen an ihn waren trotzdem noch immer ganz frisch.
Sie war so jung gewesen, als sie James kennengelernt hatte. Aber unschuldig war sie nie gewesen. Da sie in einer Soldatenfamilie aufgewachsen war, wurde ihr diese Unschuld schnell genommen, zumal ihr Vater Captain bei der Army war und ihr Onkel ein Zwei-Sterne-General. Jeannies erste Worte waren angeblich eine Mischung aus Flüchen und Befehlen gewesen. Zumindest hatte ihre Mutter ihr das immer gern erzählt.
Und obwohl sie mit Militärs aufgewachsen war und fast ausschließlich mit ihnen zu tun gehabt hatte, ging es doch für sie vor allem darum, sich die Zeit zu vertreiben. Außerdem hatte sie sich immer zu Männern hingezogen gefühlt, die sie nicht haben konnte. Der Typ Mann, der nicht bereit war, sich ihrem Charme zu unterwerfen. Und da sie als Teenager und auch später so verdammt gut aussah, waren diese Männer selten. Als sie siebzehn war, hatte noch kein Mann sie von den Füßen gerissen. James bildete da keine Ausnahme.
Zum Ersten war er bei der Navy und nicht bei der Army. Abgesehen davon hatte sie für sich beschlossen, keine Militärkarriere einzuschlagen. Sie wollte zum College gehen, wollte einen Abschluss machen und die Familientraditionen hinter sich lassen.
Ihr Vater hatte sich immer einen Sohn gewünscht, aber er fand sich mit ihrem Weg ab, als wisse er genau, dass sie andere Pläne mit ihrem Leben hatte als er.
»Frauen haben immer ihren eigenen Kopf«, sagte er gern, und sie wusste nie so genau, ob er das für gut oder schlecht hielt. Weil sie ihn gut kannte, vermutete sie, dass nichts von beidem zutraf. Es war einfach eine Tatsache.
Aber James war in seinem Bemühen um sie unnachgiebig geblieben. Das hatte ihr geschmeichelt und sie in gewisser Weise berauscht. Und es hatte sie von ihrem eigenen Interesse an einem anderen Mann abgelenkt, einem, der sich nicht hatte binden wollen.
Ja, sie hatte damals die richtige Entscheidung getroffen. Eine angemessene Entscheidung. Als sie achtzehn war, hatte James sie aufgefangen. Und jetzt, mit neunundvierzig, wartete sie noch immer, dass Cal endlich zu ihr kam und die tausend Scherben, in die sie zersprungen war, wieder zusammensetzte. Denn das schuldete er ihr auf vielfältige Weise. Sie wollte sehen, wie er dieses Mal jedes einzelne seiner Versprechen hielt.
8
Nachdem sie ein paar Möchtegern-Marines die Freigabe für das Ausbildungslager erteilt hatte, war es ungewöhnlich ruhig in der Klinik geworden. So ruhig, dass das Klingeln ihres Telefons Isabelle überraschte. Sie hatte sich auf die Papiere konzentriert, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen. Es ging um Angaben über ihre Gesundheit, die sie für ihre Bewerbung bei Ärzte ohne Grenzen eintragen musste. Aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwerer als gedacht, den Stift in die Hand zu nehmen und die Formulare auszufüllen.
Sie griff nach dem Hörer.
»Dr. Markham«, meldete sie sich. Am anderen Ende herrschte Stille. »Hallo? Ist da jemand?«
Ja, es war jemand dran … Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob es Jake war, aber dann fiel ihr ein, dass er sie auf dem Handy anrufen würde und nicht im Büro. Er hatte letzte Nacht, ehe sie das Haus verlassen und zum Unfallort gefahren waren, seine Nummer in ihr Handy einprogrammiert. Wenn er sie also überhaupt noch mal anrief, dann bestimmt auf dem Handy.
Sie würde sich jedenfalls nicht bei ihm entschuldigen. Und wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, gehörte es nicht unbedingt zu seinen Stärken, sich zu entschuldigen.
»Hallo? Ist da jemand?« Noch immer antwortete niemand, und sie wartete noch ein paar Sekunden. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit, und sie legte den Hörer wieder auf.
Wenn so etwas passierte, regte sich immer ihr Instinkt, und sie begann sofort, alle Möglichkeiten durchzuspielen. Die Wände schienen näher auf sie zuzurücken.
Hör auf damit. Du bist in Sicherheut. Rafe sitzt hinter Gittern.
Doch in ihrem Hinterkopf nagte immer wieder die bange Frage, wie
Weitere Kostenlose Bücher