EONA - Das letzte Drachenauge
Unbehagen kaum. Alles in mir war darauf konzentriert, Kygos Körper zu spüren: die Bewegung seiner Muskeln unter meinen Händen, seinen Zopf an meiner Wange, den Geruch des Rauchs vom Vorabend in seinem Haar. Die Begegnung mit Dillon und dem Buch hing über mir wie ein steinernes Gewicht, doch während dieses kurzen Ritts presste ich mich an Kygo und ging auf in seinen Atemzügen, seinem Herzschlag und in dem törichten Wunsch, wir könnten für immer so bleiben.
Am Aussichtspunkt fing Ryko mich auf, als ich vom Pferd glitt, und stützte mich, während meine zitternden Beinmuskeln sich erholten. Mein Kopf war ein einziger dumpfer Schmerz.
»Danke«, brachte ich hervor.
Er nickte knapp. »Mylady«, begann er mit schmalen Lippen, »Dela sagt, ich sei zu weit gegangen.«
Ehe ich antworten konnte, schwang Kygo sich elegant aus dem Sattel und nahm meine Hand. Ryko verbeugte sich und zog sich zurück und der Moment war dahin.
Hinter uns saß Ido ab, doch seine Beine knickten ein. Er rollte sich von dem erschrocken aufstampfenden Pferd weg und dieser Reflex schien seinen letzten Rest Energie aufzuzehren.
»Richtet ihn auf«, befahl Tozay den Wächtern.
Die beiden Männer zogen das willenlose Drachenauge wieder auf die Beine und stützten es bei den Ellenbogen.
Keiner sagte ein Wort, als wir uns unter Führung des Kundschafters, der Alarm geschlagen hatte, einen Weg durch das Gehölz bahnten. Ich glaube, wir konnten alle etwas Dunkles vor uns spüren – eine ferne Unruhe, die durch die Luft zitterte und sich in den Zähnen einnistete wie das Geräusch einer Klinge, die über einen Stein fährt.
Ein weiterer Kundschafter drehte sich von seinem Beobachtungsplatz zu uns um, als wir den Abgrund erreichten – der Mann mit den scharfen Augen, der schon am Vortag Dienst gehabt hatte. Er senkte den Kopf zu einer Verbeugung, als wir uns um ihn sammelten. Alle außer Ido. Ich sah mich zu ihm um: Das Drachenauge war auf die Knie gesunken, krümmte sich und keuchte bei jedem Atemzug vor Schmerz.
»Die ist kurz vor dem Morgengrauen aufgetaucht«, sagte der Kundschafter und wies auf eine dunkle Staubwolke am Horizont.
Etwas bewegte sich durch das Lager auf uns zu und schlug eine Schneise durch Sethons Soldaten, als die versuchten, den Vormarsch aufzuhalten. Immer wieder stürmten Einheiten von Männern heran, vorangetrieben durch eine Abteilung der Kavallerie. Und jedes Mal brach die Linie der Fußsoldaten ein vor der Kraft der einzelnen Gestalt, die sich unerbittlich näherte, und wurde zu dunklem Staub wie schwarzer Schaum auf einer Welle. Und über allem hing ein unheilvoller rosafarbener Dunst, aus dem Regen auf die Männer fiel und den Schlamm zu ihren Füßen ror färbte. Wegen der Entfernung drangen keine Geräusche zu uns, doch der Morgenwind trug den Gestank von Angst und von Eingeweiden heran und den dumpfen metallischen Geruch von Blut.
Sethon wollte das schwarze Buch so sehr, dass er eine Walstatt für seine Leute geschaffen hatte. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich wandte den Kopf ab und schluckte die Galle hinunter, die mir in die Kehle gestiegen war.
»Bei Bross, was zieht da durch das Heerlager?«, fragte Kygo und hielt sich die Nase zu.
»Es ist ein Junge.« Der Kundschafter straffte die Schultern. »Ich schwöre, Majestät, dass ich einen Jungen sehe. Doch die Soldaten, die ihm nahe kommen, lösen sich auf in Staub und in einen Regen aus Blut.« Er schauderte. »Das muss ein Dämon sein.«
»Egal, was es ist – es leistet ganze Arbeit, was das Abschlachten von Sethons Leuten angeht«, sagte Tozay.
Kygo warf einen Blick auf Ido, der auf dem Boden kauerte und keuchte, und wandte sich wieder der winzigen Gestalt zu, die sich eine Schneise durch die Armee unter uns bahnte. Sein rascher Verstand stellte bereits die Verbindung her. Bald würde er die Antwort haben und mich verstoßen und ich wäre für immer in meinem Schweigen und in Verrat gefangen.
Ich musste ihm die Wahrheit eingestehen, bevor es zu spät war, ihm überhaupt irgendetwas einzugestehen. Das gewaltige Wagnis nahm mir beinahe den Atem, doch es hieß: Jetzt oder nie.
»Das sind Dillon und das schwarze Buch«, erklärte ich. Die Schwungkraft der Wahrheit befeuerte meine Worte. »Ich habe Lord Ido gezwungen, ihn zu uns zu rufen. Vor Sokayo.«
Kygos Kopf fuhr hoch. »Vor Sokayo?«, wiederholte er. Der Argwohn in seiner Miene war wie ein Griff an meine Kehle. Ich hörte Ryko fauchen.
»Für einen Naiso habt Ihr ganz schön lange
Weitere Kostenlose Bücher