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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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Kopf rumpelte auf seiner großen rosa und violett gespritzten Harley vorbei. Sie bog links in die Elizabeth Street ein und kam an Mario’s Café vorbei, wo kubanische Männer im Schatten einer üppig wuchernden Jakaranda ihre Cafesitos hinunterschütteten und selbstgerollte Zigarren rauchten. Aus einem auf einen Sender in Havanna eingestelltem Radio ertönte knisternd ein gedämpfter Rumba.
    Sie musterte die Männer, dann winkte sie José Manuel zu, dem Einzigen, der bereits um diese Uhrzeit schon Rum trank. Er war ein entfernter Verwandter von Mama und hatte nur ein Bein, weil sein Floß während seiner Flucht von Kuba gekentert war und ein Hai ihn übel zugerichtet hatte. Aber er hatte mehr Glück gehabt als seine Kameraden, die alle lebendig gefressen worden waren. Er war von einem Garnelenfischer gefunden worden, als er sich vor einer winzigen Insel an den Wurzeln von Mangroven festklammerte. In seinem verletzten Bein entwickelte sich ein Wundbrand, und die Ärzte amputierten es. Dennoch: José Manuel hatte ein zweites Leben erhalten, und er feierte es täglich von früh bis spät. Er forderte sie ständig auf, ihn Onkel zu nennen, kniff sie, seit sie Brüste hatte, in den Hintern und wollte unbedingt Spanisch mit ihr sprechen.
    Die feuchtwarme Luft klebte an ihr und durchweichte sie wie Sprühregen, und dabei war es erst Mai. Dennoch liebte sie diese Jahreszeit kurz bevor die Gewitter einsetzten und die Vegetation explodierte, so dass man ihrem Wachstum fast mit bloßem Auge zusehen konnte. Die Touristen würden die Stadt ihrem Schicksal überlassen; die wenigen noch verbliebenen Spaziergänger, die den Sonnenuntergang vom Mallory Square aus bewundern wollten, würden ihre Lebenslust und auch ihr Interesse an den Jongleuren verlieren, dafür aber umso mehr trinken; und die Duval Street würde, von ein paar Unermüdlichen abgesehen, die unter den strohgedeckten Dächern billiger Bars Cuba libre und eiskaltes Bier tranken, zur Geisterstraße werden. Sloppy Joe’s und Captain Tony’s Saloon würden aus Tradition wie gewohnt weitermachen. Aber was konnte besser sein als die stille Lethargie, die sich über die Insel legte?
    Auf der Eaton Street bog sie rechts ab, und von dort sah man in der Ferne die riesige Krone des Banianbaums im Garten ihres Elternhauses, ein Wahrzeichen für die ganze Stadt. Eine Henne mit ihren sechs Küken überquerte die Straße, und Madeleine machte einen Bogen um sie. Vor ihr war eine Absperrung, und ein Mann schwenkte eine rote Kelle, damit sie bremste. Man grub mal wieder die Kanalrohre aus. Hinter den eleganten, im bahamaischen Stil erbauten Häusern der Eaton Street bog sie in die Cherry Lane ein, wo die Hütten armer Schwarzer standen.
    Die Straße war voller Schlaglöcher und losem Kies, und sie musste absteigen und ihr Rad schieben. So kam es, dass sie den alten Mann auf der Veranda vor seiner schäbigen Hütte mit dem verrotteten Blechdach und den verblichenen Vorhängen sitzen sah. Er stammte aus Jamaika, war pechschwarz und hatte keine Zähne mehr. Mama hatte ihr eingeschärft, ihn zu meiden und ihm niemals in die Augen zu sehen, weil er den mal de ojo habe und Kinder richtig krank machen könne. Die Jamaikaner praktizierten Voodoo, hatte Mama ihr erklärt, und sie benutzten ihre Kräfte nicht, um zu heilen oder Leuten mit einem Liebeszauber zu helfen. (Mama gab niemandem Kräuter und setzte auch nicht ihre Zauberkräfte ein, um jemanden krank zu machen – es sei denn, der Kunde bestand nachdrücklich darauf und zahlte extra.)
    Der alte Mann sah sie kommen und stand von seinem Schaukelstuhl auf. Er lehnte sich über die Brüstung, um ihr in die Augen zu blicken. Alles in ihr sträubte sich, aber ihr Blick wurde von ihm angezogen, sie konnte sich nicht wehren. Als sie an ihm vorbeiging, sah sie ihm voll ins Gesicht. Er lächelte sie an, und sie sah, dass er keine Zähne mehr im Mund hatte. Ach was, dachte sie, alles Blödsinn. Er ist harmlos.
    In jener Nacht musste sie sich heftig übergeben. Sie erbrach eine schwarze Flüssigkeit, die nach Unrat stank. Es schien kein Ende zu nehmen. Niemand wusste, was los war, selbst der Arzt aus New Orleans nicht, der Papa auf einen Drink besucht hatte. Er wollte einen Krankenwagen rufen, aber als Madeleine ihrer Mutter die Begegnung mit dem alten Mann gestand, wehrte Rosaria ab. Sie erklärte Papa und dem Arzt, dass es sich um eine Krankheit handele, die nicht in einem Krankenhaus geheilt werden könne. Und während sie noch heftig

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