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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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»Ich sehe dich nie, kleines Mädchen, ich hätte nichts gegen ein wenig Gesellschaft.«
***
    Neville verstand ihre Faszination – hatte er ihr Interesse an den dunklen, verborgenen Facetten des Lebens nicht gefördert? –, und es schmeichelte seiner Eitelkeit, vor den Leuten damit angeben zu können, war für ein besonderes Geschöpf seine Tochter war.
    Ihr Partner John hatte eher ein professionelles Interesse an ihrer Eigenart, und seine analytische Meinung lautete, dass ihre kindliche Fixierung auf Ameisen eine lebensnotwendige Übertragung in einer Phase gewesen sei, in der sie das stürmische und unkonventionelle Leben ihrer Eltern überforderte. Ihre Flucht in die vorhersagbare Welt der Ameisen, erklärte John, sei ein Weg gewesen, die Angst und Verwirrung zu verdrängen, die beide Eltern bei ihr erzeugt hätten – ihre Mutter durch ihre mystischen und spirituellen Exzesse und ihr Vater durch sein allmähliches Sichzurückziehen. John vermutete, dass Rosaria schon damals total verrückt gewesen war und dass Madeleine eine gesunde Furcht vor ihr gehabt hatte. Ameisen seien zu ihrem »Übergangsobjekt« geworden, das sich jedoch als alles andere als vorübergehend erwiesen habe. Madeleine hatte über seine Theorie gelacht, aber möglicherweise steckte einiges an Wahrheit darin.
    Sie starrte auf die Leinwand, aber noch immer überforderte die neue Aufgabe sie. Die nächste Serie reifte schon eine ganze Weile in ihr. Es war die Königin, die sie ins Visier genommen hatte, die Mutterameise, die dicke, glänzende Matriarchin. Sie stand an der Spitze ihres Staates, war die erhabene Herrscherin mit Tausenden ihr ergebener Arbeiterinnen und den entzückt allein ihrer Befruchtung dienenden Männchen. Madeleine hatte ein Gefühl innigen Vertrautseins mit ihr, aber als sie das Holzkohlestück hob und auf die Leinwand setzte, blieb jener göttliche Funke der Inspiration aus – vielleicht, weil sie selbst nicht daran glaubte. Es kribbelte nicht im Rücken, und ihre Nackenhaare stellten sich nicht auf. Sie empfand gar nichts. Genau in diesem Moment des Nichts (der lediglich die schnell anwachsende Angst vor dem Nichts enthielt) klingelte erneut das Telefon. Dankbar ließ sie das Kohlestück fallen und eilte die Treppe hinab, wobei sie sich zugleich dessen bewusst war, dass sie nie ans Telefon ging, wenn sie gerade malte.
    »Madeleine Frank«, meldete sie sich seufzend, eigenartig erleichtert, den Klang ihres eigenen Namens zu hören.
    »Hallo Madeleine.«
    »Gordon!« Zu spät dachte sie daran, die Überraschung in ihrer Stimme zu unterdrücken.
    »Ja, ich bin’s.«
    »Was willst du?«
    »Wie geht es dir?«
    »Prima. Ja, mir geht es gut.«
    »Treffen wir uns auf einen Drink. Ich will mit dir über Rasierklingen sprechen.«
    »Was meinst du damit – über Rasierklingen?«
    »Du hast gehört, was ich gesagt habe. Außerdem fehlst du mir. Ich will dich sehen.«
    Verwirrt zögerte Madeleine, bevor sie fragte: »Zu den alten Bedingungen?«
    »Gehen wir einen trinken und reden wir miteinander.«
    »Das Leben ist kompliziert genug, Gordon. Gönn mir eine Pause.«
    Sie legte auf. Es hatte keinen Sinn zu verhandeln. Sie mochte den Mann, aber ihre Selbstachtung war schon zerbrechlich genug. Warum sollte sie sich der Gefahr aussetzen? Sie sah die Treppe hinauf und spürte, wie eine tiefe Müdigkeit sie überkam. Zur Hölle mit der Ameisenkönigin. Sie ging in die Küche. Am Spülbecken mixte sie sich einen Mango Colada mit viel Rum.
    Als sie mit dem Drink in der Hand dastand, sah sie erneut das Durcheinander auf dem Küchentresen. Sinnierend betrachtete sie es. Etwas war faul am Verschwinden der Zinnbrosche. Vor ihrem geistigen Auge sah sie den kranken Edmund, der an Durchfall und Erbrechen litt, aufgeregt und ans Bett gefesselt war, sich wand und stöhnte, Schaum vorm Mund hatte und die Augen verdrehte. Und dann erschien ihr Rosaria am Altar, auf dem sieben Gläser Wasser standen, sieben heilige Steine lagen und sieben kubanische Zigarren.
    O nein, Mama! Das konnte sie nicht tun! Oder doch?



6. Kapitel
    A n den Schulzaun gelehnt, wartete Rachel auf Sascha. Alle paar Minuten blickte sie sich um. Seit sie wieder zu Hause in Bath war, fühlte sie sich relativ sicher, aber es war ihr so in Fleisch und Blut übergegangen, ihre Umgebung zu überprüfen, dass es ihr schwerfiel, diese Gewohnheit abzulegen.
    Wenn man aus einer finsteren Ecke Londons kam, erschien einem Bath wie ein kleines Paradies, aber wie sie vor einer Ewigkeit im

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