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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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Religionsunterricht gelernt hatte, gab es selbst im Paradies Schlangen. Jeden Tag konnte solch eine Schlange in Gestalt von Anton in diese kleinstädtische Zufluchtsstätte eindringen. Mit einem Schaudern erinnerte sie sich daran, wie er in Saschas Schule in London aufgetaucht war und ihn für einen Abend oder übers Wochenende hatte mitnehmen wollen und deshalb in Gegenwart der anderen Eltern laut mit ihr stritt.
    Als Rachel das erste trampelnde Lärmen vernahm, das der Kinderlawine vorausging, warf sie ihre Zigarette in den Rinnstein. Die Energie, mit der die Kinder aus der Schule gerannt kamen, war mit dem erwachenden Frühling gestiegen. Sie waren munter wie kleine Lämmer, die unbedingt ins Freie wollten. Auf einmal hallte der Schulhof von Stimmen, Gelächter, Rufen und Schreien wider.
    Innerhalb weniger Minuten kam Sascha um die Ecke gerannt und warf sich gegen ihre Beine. Er war ein schönes Kind und hob sich mit seinem dunklen Haar, den tiefgrünen Augen und dem zarten Gesicht von den anderen ab. Auch seine Stimme war anders. Er hatte Antons Akzent übernommen – so sehr stand er unter dem Einfluss seines Dad.
    Wie immer machten sie erst einen Umweg durch den Park, bevor sie heimgingen. Rachel setzte sich auf dem Spielplatz ins Gras, und Sascha rannte zur Schaukel. Sie kannte diesen Park von Kindesbeinen an, und die ganze Szene vermittelte ihr ein Déjà-vu-Gefühl. Nur dass Dottie, ihre Mum, nie im Gras, sondern immer mit ihrem Strickzeug auf einer Bank gesessen und ein wachsames Auge auf Rachel für den Fall gehalten hatte, dass sie von irgendeinem Klettergerüst sürzte.
    Weder Rachel noch Sascha hatten je Felder, Hügel oder Strände kennengelernt, wo man kilometerweit laufen konnte, ohne anderen Menschen zu begegnen. Rachel wusste denn auch nichts über die Natur. Natürlich hatten sie gelegentlich mal einen Ausflug gemacht, und ihre Eltern besaßen eine Zeit lang einen Wohnwagen, der in Protishead stand. Aber Dottie war eine ängstliche Mutter gewesen. Ihrer Meinung nach sollten Kinder die Welt nicht selbst erkunden, sondern durch entsprechende Fernsehprogramme darüber informiert werden. Der Platz vor dem Fernseher sei der sicherste Ort der Welt, pflegte sie zu sagen. Rachel war sich dessen bewusst, dass sie Sascha auf die gleiche Weise behandelte. Aber in Saschas Welt waren die Gefahren und Bedrohungen schließlich auch real …
    Während sie zusah, wie sich ihr Sohn in die Luft schwang, rutschte ihm etwas aus der Tasche. Sie beobachtete, dass er es bemerkte, und seine Reaktion war seltsam, auch gefährlich. Er versuchte, in vollem Schwung von der Schaukel zu springen, um den Gegenstand in Sicherheit zu bringen. Rachel rannte los, um ihn davon abzuhalten. »Bist du denn wahnsinnig, Kind«, rief sie. »Mach das ja nicht, du kannst dich dabei umbringen!«
    Rachel hob den Gegenstand auf. Als sie ihn näher betrachtete, sog sie die Luft ein. Es war ein kleiner Bilderrahmen aus Pappe, der unbeholfen mit bunten Plastikstreifen umwickelt war und in dessen Mitte ein kleines Foto klebte. »Was ist das, Sascha?« Sie hielt seine Schaukel an.
    »Wir haben das im Kunstunterricht gemacht«, antwortete er und wandte seine Augen ab.
    »Das ist toll. Wirklich pfiffig. Hast du das selbst gemacht?«
    »Ja. Es hat Ewigkeiten gedauert.«
    »Woher hast du das Foto?«
    Sascha sah sie herausfordernd an. »Daddy hat es mir gegeben.«
    »Schön. – Wann?«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    »Aber wir haben Daddy nicht mehr gesehen, seit wir London verlassen haben … stimmt’s?«
    Sascha lehnte sich mit dem Rücken gegen ihre Beine (um ihrem Blick auszuweichen?). »Miss Bailey hat gesagt, dass sie ganze Kühe nehmen, um Würste zu machen. Glaubst du, dass sie auch die Augäpfel, den Hintern, die Zipfel und Muschis und all solche Sachen da mit rein tun?«
    »Ja, ich glaube schon«, meinte sie geistesabwesend. »Spiel weiter, Sascha. Geh wieder zur Schaukel.«
    Sie hätte gern mehr gewusst, aber sie hasste es, ihren Sohn auszufragen. Es waren jetzt drei Monate, und sie hatte Schuldgefühle, weil sie ihm den Vater vorenthielt, obwohl sie wusste, dass es für ihn so das Beste war. Der Junge hatte schon zu viel gesehen, und er war in Heimlichkeiten und Lügen verwickelt worden. Anton hatte immer versucht, sich Saschas Ergebenheit dadurch zu sichern, dass er ihn glauben ließ, das Band zwischen Vater und Sohn sei besonders eng und beinhalte eine Loyalität, an der eine Mutter, eine Frau, nicht teilhaben konnte. Er hatte dem Kind die

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