Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
Heimlichtuerei beigebracht und wohl von ihm verlangt, das Foto zu verbergen, weil es ein Geheimnis sei und Mum es nicht mögen würde, weil sie Onkel Uri hasse.
Sie ging zurück, legte sich ins Gras und betrachtete das Foto, Sascha auf einem Sofa zwischen Anton und dessen Bruder. Wo die Aufnahme gemacht worden war, wusste sie nicht. Schon beim Anblick ihres Sohnes neben Uri schrillten bei ihr alle Alarmglocken. Anton war gefährlich, aber sein Bruder ging über Leichen. Er hasste Frauen und bediente sich ihrer gnadenlos. Anton gab bereitwillig zu, dass sein Bruder das Gehirn ihres Geschäfts war. Obwohl Uri fast zehn Jahre jünger war, hatte Anton einen tiefen Respekt vor ihm. Uri war für ihn ein Genie, der jede Chance für ein Geschäft witterte und sogar den ein oder anderen Polizisten auf seiner Seite hatte.
Beide waren eiskalt und skrupellos, aber davon abgesehen war es schwer zu erkennen, dass sie Brüder waren. Anton war der Gutaussehende, groß, drahtig, mit grünen Augen, dunklem Haar und heller Haut. Uri hingegen war untersetzt, kleiner als Anton, hatte hellere Haare, blaue Augen, war in sich gekehrt und schweigsam. Es machte ihm Spaß, die Mädchen »anzulernen«, vor allem die angsterfüllten, widerstrebenden, die noch nicht richtig begriffen hatten, was für eine Tätigkeit sie in Großbritannien erwartete. Er leistete verdammt gute Arbeit bei den Aufmüpfigen und war stolz auf seine Fähigkeit, sie gefügig und willfährig zu machen und ihren Blick zu brechen. Sie leiden zu lassen, bereitete ihm Vergnügen. Aber ein- oder zweimal hatte er sich dabei verkalkuliert. Rachel hatte sich ihr passives Verhalten nie verziehen. Sie war zu feige gewesen. Darauflief alles hinaus. Sie war ein Feigling, und daran würde sich nie etwas ändern.
***
Nachdem sie in jener Nacht neun Freier bedient hatte, fiel sie morgens um halb vier ins Bett, froh, dass Anton nicht zu ihr kam. Sie wohnten vorübergehend in Uris Haus in Camden, und sie hasste jede Minute, die sie dort verbrachten. Anton war mit zwei russischen Freunden in der Küche. Die Männer waren vor einer Woche mit zwei Mädchen angekommen. Es gab viel zu erzählen, und sie waren laut und erregten sich polternd über etwas. Die Russen waren starke Trinker und liebten Wodka. Uri trank vor allem Bier, und Anton bevorzugte Kokain. Ein großer Teil seines Geldes – des Geldes. das Rachel anschaffte – wanderte seine Nase hinauf. Heute jedoch hörte sie ihn betrunken lachen, als sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Irgendwann später wachte sie durch ein Geräusch im Nebenzimmer auf. Es klang, als sei ein Stuhl umgekippt. Dann war ein leises, rhythmisches Wimmern zu hören; als Nächstes das schrille Flehen eines Mädchens. Sie kannte die Stimme. Sie gehörte einem der russischen Mädchen, einem erbarmungswürdigen kleinen Geschöpf, das nicht älter als sechzehn aussah. Man hätte sie als hübsch bezeichnen können, wenn sie nicht so klein und dürr gewesen wäre und nicht solch eine ungesunde Gesichtsfarbe gehabt hätte. Laut Anton war sie die Luft nicht wert, die sie atmete. Außerdem war sie überaus ängstlich und konnte kein Englisch. Rachel hatte Mitleid mit ihr, aber sie sah keine Möglichkeit, ihr zu helfen. Sie konnte nur versuchen, sie zum Essen zu bringen. Das andere Mädchen war groß, robust und erwachsen, hatte einen Arsch und Titten sowie einen harten Ausdruck in den Augen. Sie war recht bereitwillig nach Großbritannien gekommen. Man hatte ihr allerdings verheimlicht, wie lange sie arbeiten musste, um ihren Pass zurückzuerhalten. Und erst einmal hier, war es zu spät für sie, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Man hatte sie bereits nach Birmingham gebracht, wo sie ihre jahrelange Fron als Sexsklavin ableistete.
Jetzt war Uris Stimme zu vernehmen, tief und drohend. Was immer er mit der Kleinen anzustellen versuchte, es erwies sich als schwierig. Schon bald begannen die Schläge. Uri war nicht wie Anton, der vor Wut außer sich geraten und völlig die Kontrolle verlieren konnte. Uri ging methodisch und kaltblütig vor. Die Prügel hörten dann und wann auf, und es war nur noch das hysterische Schluchzen des Mädchens zu vernehmen. Vielleicht war es ein Fehler, die Geduld mit ihr zu verlieren. Vielleicht hätte sie sanft überredet werden müssen.
Wieder fiel etwas um und krachte auf den Boden. Das viktorianische Reihenhaus hatte zwar dicke Wände, aber laute Geräusche hörte man dennoch durch sie hindurch. Doch den Russen ein Stockwerk
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