Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
Steilhang.
    Tyrkir deutete ehrfürchtig auf einen besonders silbrig und blaugrün schillernden Schuppenleib. »In solch einen Lachs muss sich Loki, der Hinterlistige, bei seiner Flucht vor den Göttern verwandelt haben.«
    »Und du behauptest, in meinem Land gäbe es keine Wunder«, feixte der Ziehsohn. »Ja, guck nur genau hin. Da hast du schon wieder eins. Und warte ab, jeder Tag, an dem wir uns weiter umsehen, der bringt uns ein neues!«
    Die Gegend musste gründlich erforscht werden, dazu teilte Leif seine Mannschaft in zwei Hälften, leitete die eine Gruppe selbst und setzte Tyrkir mit Egil als Führer der anderen ein. Im täglichen Wechsel zog eine Schar los. Der unbedingte Befehl galt für alle: »Bleibt stets in Rufweite beieinander. Entfernt euch niemals so weit, dass ihr nicht vor Anbruch der Dämmerung wieder zurück seid!«
    Doch gegen Abend des dritten Tages erreichte Egil mit seiner Gruppe erschöpft und atemlos das Wohnhaus auf dem Hügel. Tyrkir fehlte!
    In wildem Zorn schrie Leif den Freund an: »Wo ist mein Onkel?!«
    »Ich weiß es nicht. Ich versteh es auch nicht.«
    »Du Idiot!« Leif stieß ihn vor die Brust. »Du verdammter Idiot!« Außer sich schleuderte er ihn hin und her, bis Egil zu Boden fiel, und riss ihn gleich wieder hoch. »Warum hast du nicht aufgepasst!?«, brüllte er. »Niemand ist mir so viel wert wie der Onkel.« Er starrte in die entsetzten Gesichter der Leute. »Ich kann auf euch alle verzichten!«
    Beim nächsten Atemzug hielt er inne und fasste sich wieder. »Nein, verzeiht, Männer, ich meinte es nicht so. Bin nur in Sorge um den Lotsen.« Schuldbewusst streckte er Egil die Hand hin. »Nimm es mir nicht übel, Freund!«
    »Schon vergessen.«
    »Weißt du noch ungefähr, wo ihr den Deutschen zuletzt gesehen habt?«
    Sie waren tiefer nach Süden vorgedrungen, hatten einen Laubwald durchquert und waren zu einer lang gezogenen, mit Büschen und Sträuchern bewachsenen Talsenke gelangt. »Die Luft stand und war so stickig, dass wir kaum atmen konnten. Und weil alle schwitzten, hat sich jeder einen Schatten gesucht.« Egil schüttelte den Kopf. »Als wir nach der Ruhepause wieder loswollten, war der Lotse weg.« Sie hatten gerufen, gewartet, geschrien, waren ausgeschwärmt, vergeblich. »Ich kann’s einfach nicht begreifen.«
    Leif sah zum Himmel. Die Sonne neigte sich bereits in den Westen. »Ein paar Stunden bleibt es noch hell.« Entschlossen wählte er aus der eigenen Gruppe zwölf Männer und befahl Egil: »Du führst uns. Und jetzt los!«
    Im Laufschritt erreichten sie schon bald den Waldrand. Hier zog sich der Suchtrupp zu einer Kette auseinander. Indes Rufen und Lärmen schreckte lediglich die Vögel aus den Laubkronen. Fast waren sie bis zur Waldmitte vorgedrungen, als Egil überrascht stehen blieb. »Hörst du das?«
    Leif nickte. Irgendwo in der Nähe ertönte ein seltsamer Singsang. Stumm verständigten sich die beiden, zogen die Äxte aus dem Gürtel und schlichen geduckt weiter, achteten stets darauf, dass einer von ihnen in der Deckung blieb, während der andere zum nächsten Baumstamm huschte, so arbeiteten sich die Männer bis zum Rand einer kleinen moosbewachsenen Lichtung vor. Der Singsang war jetzt laut zu vernehmen, auch das Knacken von dürren Ästen. Bereit zum Angriff, packten sie die Axtschäfte fester. Da wurden jenseits der Lichtung Zweige beiseite gewischt und aus dem Gebüsch schritt der Lotse leicht schlingernd ins Blickfeld. »Vorbei ist alle Not, kein Durst mehr bis zum Morgenrot.« Mit großen Armschlenkern unterstützte er den Rhythmus. »Vorbei ist alle Not, kein Durst …«
    »Onkel!«
    Tyrkir unterbrach den Singsang, kein Erschrecken, als der Ziehsohn ihm entgegeneilte, er grinste und fuhr mit dem Ärmel schwungvoll durch sein verschwitztes Gesicht. »Du bist, du bist wirklich schlau. Ja, ich sag das nicht einfach so daher.« Obwohl er sich bemühte, die Pausen zwischen den Worten gelangen ihm nicht und eins wischte ins nächste über. »Jeder Tag bringt ein Wunder. So ist es. Und ich habe das größte Wunder gefunden.«
    »Wo, verflucht, bist du gewesen?« Leif schwankte zwischen Verblüffung und Ärger. »Warum hast du dich von den Männern getrennt?«
    »Weil ich zu viel von dem Wunder gegessen habe. Aber jetzt ist mein Kopf wieder klar.« Bedächtig öffnete er den Leinenbeutel an seinem Gürtel und brachte eine Hand voll gelb-roter Beeren zum Vorschein. Einige waren aufgeplatzt oder verrunzelt, die meisten aber rund und prall. Liebevoll

Weitere Kostenlose Bücher