Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
(14.–18. 1. 1984). Hier hatte sich das Christentum, mehrheitlich methodistischer Ausprägung, schon seit 100 Jahren etabliert. Ich besuche die katholische Kirche ebenso wie den Mormonentempel und predige am Sonntag in der voll besetzten methodistischen Centenary Church.
Um die Erhaltung der alten Kultur Tongas bemüht sich vor allem Prof. FUTA HELU , der auf der Hauptinsel das Atenisi Institute gegründet hat. Auf Vermittlung des Tübinger Tonga-Experten HANS JÖRG HÄMMERLING hatte er mir in Tübingen in polynesischer Tracht einen Besuch abgestattet. An seinem Institut kann ich jetzt am Abend als Ehrengast an einer Vorführung traditioneller Tänze teilnehmen. Eine besondere Ehre aber ist für mich der Empfang beim Vizekönig in Vertretung des erkrankten Königs TAUFA’AHAU TUPOU IV. Anschließend bin ich eingeladen zu einem frohen und höchst üppigen königlichen Hochzeitsessen und habe auch meinerseits eine ausführliche Tischrede zu halten. Die Aufnahme ist außerordentlich herzlich. Als Gipfel der Zeremonie wird mir gegen Schluss ein gebratenes Spanferkel mit einer Riesenmelone und Früchten überreicht, was ich alles an meinen Freund Futa Helu weitergebe. Zum Abschluss darf ich einen schönen Ausflug auf die private kleine Insel Oneata machen, wo man sich das ursprüngliche Leben der Polynesier sehr gut vorstellen kann.
Von Tonga ist der Weg nach Neuguinea – über Fidschi und Brisbane – zwar weit, aber relativ einfach. Doch an dieser Stelle muss ich nun Polynesien endgültig hinter mir lassen und mich Afrika zuwenden. Vorbeisegelnde portugiesische Seefahrer hatten schon 1545 von Neuguinea als »Ilha dos Papuas = Insel der Kraushaarigen« gesprochen, was auf die Völkergruppe der Melanesier (im Unterschied zu den Polynesiern) hinweist. Holländische Forscher fügten »Neuguinea« hinzu, weil sie das Land an das afrikanische Guinea erinnerte, obwohl zu den dortigen Stämmen der Haussa und Yoruba keinerlei genetische Beziehung besteht. Ich aber hatte Gelegenheit, wenige Jahre später das afrikanische Nigeria zu besuchen und mich über diesen Kontinent Afrika vor Ort zu informieren.
Afrika – die Wiege der Menschheit
Afrika: ein gigantischer Kontinent, der Welt zweitgrößter, in dem die USA, Indien und China leicht zusammen Platz hätten, in dem sich verschiedene Religionen mit ihren je verschiedenen Paradigmen in verwirrender Weise überlagern. Er stellt für eine Theologie des Friedens unter den Religionen eine unvergleichliche Herausforderung dar. Afrika: ein Drittel der Landfläche der Erde. Fast 8000 Kilometer hatte ich später auf meiner Reise von Europa aus zu durchfliegen von Nord nach Süd, von Frankfurt bis Kapstadt. Und nur 500 Kilometer weniger sind es von West nach Ost, von Dakar bis zum strategisch wichtigen Horn von Afrika. Doch ist Afrika so wenig eine Einheit wie Europa oder Nordamerika; die einzelnen Länder sind höchst verschieden.
Afrika war der erste außereuropäische Kontinent, den ich besuchen durfte. Aber was ich im Frühjahr 1955 als Student auf meiner Reise nach Tunesien und Algerien kennenlernte (Bd. 1, Kap. III: »Wenn ich einen eliminieren könnte«), war nur der nördliche mediterrane Saum dieses Kontinents. Dabei durfte ich auch die größte Wüste der Welt, die Sahara, erleben, die ihre eigene wechselhafte Geschichte zwischen grüner Vegetation und Dürre hat. Aber was hat sich doch alles schon in den 50 Jahren verändert, seit ich zum ersten Mal dort war.
Afrika ist geologisch gesehen ein sehr alter Kontinent, an welchem sich wie auf keinem zweiten die geologische Geschichte unserer Erde studieren lässt. Afrika ist darüber hinaus historisch gesehen ein uralter Wohnraum von Menschen. Die Anfänge der Menschheit im biologischen Sinn und die Anfänge der menschlichen Kultur lassen sich an allerältesten Überresten nachweisen. Ja, nach dem gegenwärtigen paläontologischen Erkenntnisstand darf man vermuten: Der Ursprung der Menschheit liegt überhaupt in Afrika, vielleicht im großen afrikanisch-syrischen Grabenbruch, dem Rift Valley, das ich einmal von Kenia aus überflogen habe. Im Morgengrauen der Prähistorie tritt hier der Mensch in der Gestalt des Homo habilis auf, der sich Kieselsteine als Werkzeuge behaut; das war vor mehr als zwei Millionen Jahren im östlichen Afrika. Er entwickelt sich weiter zum Homo sapiens, dem heutigen Menschen.
Selbst bei den sogenannten afrikanischen »Naturvölkern« geht es nicht etwa bloß um Naturgeschichte,
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