Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
und rhythmisch in die Hände klatschen. »Die Europäer beten steif wie Statuen«, sagten sie mir.
Lange bevor Theologen darüber reflektierten, hatte es hier eine ungeschriebene, aber in afrikanischen Gesängen und Tänzen, Predigten und Liturgien gelebte Schwarze Theologie gegeben, eine – von Genf, Canterbury, Rom unabhängige – »Black Theology« , in der Afrikaner ihre eigene Sprache gefunden hatten. Sie verbindet sich später mit den Rufen nach »Black Consciousness« und schließlich auch »Black Power« . Schwarze Afrikaner sehen sich vielfach biblisch als auserwähltes Volk auf dem Weg aus der Knechtschaft ins Gelobte Land: der neue Staat und der politische Führer als der Messias . Das ist der Grund dafür, dass der afrikanische Nationalismus ebenso im marxistischen wie im religiösen Gewand auftreten kann und Afrika bis heute weithin ein außerordentlich religiöser Kontinent bleibt.
Apartheid – Überbleibsel der kolonialistisch-imperialistischen Moderne
Meine Afrikareise von 1986 – ein gutes Jahrzehnt vor den Dreharbeiten in Simbabwe – führt mich auch in die Republik Südafrika. Auf der Reise von Äthiopien dorthin lege ich einen viertägigen Zwischenaufenthalt in Sambia ein. In unserem Hotel in der Hauptstadt Lusaka als einziger Weißer auf dem großen Stockwerk kann ich ein wenig mitempfinden, wie sich Afrikaner in europäischen Ländern fühlen mögen. Auch in Sambia Begegnungen mit Repräsentanten der christlichen Kirchen, viele Gespräche und ein Abendvortrag im Theological College. Am Morgen hinaus in den Busch, um die imponierende soziale und religiöse Arbeit von Immenseer Missionaren aus der Schweiz vor Ort kennenzulernen. Ein höchst beeindruckender Einsatz.
25 Jahre später (im Juni 2011) erhalte ich einen Situationsbericht von einer Schweizer Krankenschwester, die damals in Lusaka arbeitete: Alles sei nicht besser, sondern schlimmer geworden. Nicht nur die Armut und der Mangel an jeder Erziehung und an Schulen in den Slums, sondern sogar schlicht das Überleben: »HIV-Aids ist allgegenwärtig!« Und wer ist der Hauptschuldige? Der Schwester zufolge der Papst und mit ihm die katholische Hierarchie, die alles tut, um Pille und Kondome zu verhindern. Das von der Schweiz finanzierte Aids-Hospiz zum Beispiel »hat gute Medikamente, aber gibt strikt keine Kondome ab, nicht einmal an junge Mütter mit fiebrigen Augen und einem Baby auf dem Rücken … Rom müsste das Kondom sofort entstigmatisieren«, schreibt mir die Schwester. Das rührt mich tief, und erneut kommt Zorn in mir auf über ein unbelehrbares Lehramt.
An den Fronten der Kirche gibt es in aller Welt zahlreiche tapfere Männer und Frauen, welche die Probleme genau sehen. Einen der mutigsten Menschen treffe ich in Kapstadt, den jungen katholischen Pfarrer STEFAN HIPPLER . Er sagt mir: Wenn die katholische Kirche, die in Südafrika 3,3 Millionen Mitglieder hat und damit sieben Prozent der Bevölkerung anspricht, offen den Gebrauch von Kondomen propagieren würde, könnte das einiges bewegen. Tapfer ist dort auch Bischof KEVIN DOWLING , der in seinem Bistum Rustenburg offen für Kondome wirbt. Verständlich angesichts der 1000 Aids-Toten und rund 600 Neuinfektionen täglich; nach UN-Angaben ist in Südafrika jeder Fünfte HIV-positiv.
Aufgeschlossenen jungen reformierten Geistlichen aus Südafrika – vor allem ANDRÉ VAN NIEKERK und NICO GRÖTZINGER , die mich in Tübingen besucht hatten – verdanke ich es, dass ich 1986 dorthin eingeladen werde und damit eine mehrwöchige Studien- und Vortragsreise durch das ganze subsaharische Afrika verbinden kann. Ich hatte schon vorher die Situation aufgrund verschiedener Publikationen gründlich studiert und mehrere aktuelle Vorträge vorbereitet: »Where Are the Church and Theology Going?« – »Is There One True Religion?« und »The Role of a Christian in a Situation of Confrontation?« Oder auch schlicht: »Why Am I a Christian?« Ich hatte stets ein volles Programm zu erfüllen: neben den Vorträgen noch zahllose Diskussionen im Anschluss oder beim Essen, Pressekonferenzen, Interviews, viele gelehrte Unterhaltungen mit Theologen, Meetings in allen möglichen größeren oder kleineren Gruppen oder mit wichtigen Persönlichkeiten vor Ort. Vor allem führe ich hier eine offene und freundliche Diskussion mit der Leitung der etablierten Dutch Reformed Church und deren neuem General Moderator JOHAN HEYNS , einem Professor der systematischen Theologie. Viel verdanke ich auch hier
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