Erlösung
mir nichts anfangen. Ich war nicht mehr als ein Fremder für sie, der fast schon verzweifelt versuchte, sich in ihr Leben zu drängen. Natürlich konnte niemand etwas für seine Gefühle. Wenn dem so wäre, dann hätte ich niemals zugelassen, dass ich mich überhaupt in eine Sterbliche verliebe. Es war allerdings geschehen und mir wurde bewusst, dass ich etwas unternehmen musste, um Evelyn nicht zu verlieren. Ich hatte keinen weiteren Verbündeten, wie auch, offiziell existierte ich bei ihrer Familie und Freunden überhaupt nicht. Ich konnte nicht mit Evelyns Vater sprechen und mich bei ihm einschleimen, so wie es zweifelsohne Richard Ashton getan hatte.“ Er knurrte leise. „Wir haben uns gesehen und wohl beide sofort gewusst, dass wir einander nicht ausstehen können. Die ganze Sache wäre mir gleich gewesen, aber er hatte den großen Vorteil, nicht unentdeckt bleiben zu müssen. Er konnte offen auftreten und jedem klar machen, dass er wohlhabend war und ein deutliches Interesse an Evelyn hatte. Welche Möglichkeiten blieben mir noch?
Evelyns äußerlichen Blessuren verheilten wenigstens, wenn auch langsam, aber ihr Gedächtnis blieb weiterhin im Verborgenen. Also hatte ich mir vorgenommen, sie kurzerhand zu entführen, wenn sie körperlich wieder ganz bei Kräften war. Ich wollte sie von alledem fortholen, sie beschützen und einfach abwarten, bis sie sich wieder an mich erinnern würde. An das was wir hatten. Was die Ärzte auch sagen mochten, ich wusste, dass sie mich eines Tages erkennen würde. Ihre Liebe zu mir würde zurückkehren, da war ich mir ganz sicher.“
Ich war gebannt von seinen Worten und trotzdem fiel es mir schwer zu glauben, dass Peter solche Gefühle gehabt haben sollte.
„Tja, nach ungefähr fünf Wochen war der Tag gekommen, an dem Evelyn das Krankenhaus verlassen konnte, Dr. Ashton hatte mir sogar Bescheid gesagt. Natürlich war klar, dass ihre Familie sie abholen würde, doch ich wollte ihnen einfach zuvorkommen. Da war allerdings wohl niemandem bewusst gewesen, dass Richard bereits ganz andere Pläne hatte.“ Peters Augen begannen regelrecht zu glühen, als er einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand fixierte. Er schien in Gedanken versunken zu sein, als wäre er wieder mitten im Geschehen von damals…
Als ich das Krankenhaus betrat, hatte ich nur für den Bruchteil einer Sekunde ein schlechtes Gewissen. Okay, ich war dabei, Evelyn zu entführen. Bereit sie von ihren Freunden und ihrer Familie vollkommen zu isolieren. Doch ich tat es aus Liebe. Sie hatte sich schließlich bereits entschieden. Hatte den Entschluss gefasst, zu sterben, um mit mir zusammen zu sein. Und wäre das Schicksal nicht so grausam gewesen, dann wären wir bereits miteinander verbunden. Vogelfrei, weil es gegen jede Regel war, die ich sonst immer befolgt hatte, trotzdem hinterließ es keinen bitteren Nachgeschmack. Das Gefühl der Vorfreude schlich sich in mein Herz und ich erklomm die restlichen Stufen zur Etage, auf der Evelyn untergebracht war. Aber die angebliche Wärme, die mein Innerstes fluten sollte, erstarrte augenblicklich zu Eis. Dass mir einmal ein gewöhnlicher Sterblicher begegnen würde, der sich schlussendlich als mein größter Konkurrent, als mein härtester Gegner herausstellen würde, das hätte ich wohl niemals für möglich gehalten. Bis zu diesem Tag. Dieser Lackaffe namens Richard Ashton stand tatsächlich in Evelyns Zimmer. Er glotzte sie lächelnd an, während sie ebenso fröhlich ihre Habseligkeiten in eine Tasche packte. War das ein schlechter Traum?
Ich durchquerte den langen Korridor und erreichte kaum den Türrahmen, als meine Wut bereits hervorquoll. „Was tun Sie hier?“, giftete ich Ashton an. Ich bemühte mich um Fassung, aber das gelang mir in Anbetracht der Lage nicht sonderlich überzeugend. Evelyn schrak hoch und auch Richard Ashton starrte mich überrascht an. Sie hatten mich nicht kommen sehen, weil sie zu sehr mit sich beschäftigt gewesen waren.
„Peter…“, begann sie zögerlich. Es tat gut meinen Namen aus ihrem Mund zu hören, doch seine Bedeutung war nicht mehr dieselbe wie noch vor einigen Monaten. Nein, vor fast zwei Jahren war es beinahe eine Liebkosung gewesen, heute klang es nur wie ein ganz gewöhnlicher Name, mit dem sie nichts mehr verbinden konnte. Richard betrachtete mich nun mit dem gleichen arroganten Gesichtsausdruck, mit dem er mich jedes Mal bedachte, wenn wir uns begegneten.
„Ich weiß nicht, was Sie hier wollen, Sir“, begann er
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