Erlösung
Verlorene schwoll wieder an. Er versuchte mein Innerstes zu vergiften, doch der Zorn in mir konnte dieses Mal nicht die Oberhand gewinnen. Ich hockte mich vor den marode gewordenen Kamin und starrte in die züngelnden Flammen. Wie lange würde ich wohl noch hierher kommen können? Vincent hatte uns mittlerweile den Auftrag erteilt ein neues Gebiet zu beobachten und es würde in Kürze unmöglich werden, jede Nacht hier zu sein. Cambridge und Oxford lagen zwar nicht allzu weit entfernt, aber ich konnte mich nicht vor den Patrouillen drücken. Nicholas hatte mir bereits eine längere Auszeit gewährt, doch dieses Privileg war allmählich ausgeschöpft. Ich musste mich langsam wieder in meine Bestimmung fügen, schließlich war ich ein Krieger, ein Jäger der Ältesten. Es gab Aufgaben, die es zu bewältigen galt, ob ich wollte oder nicht. Ich starrte auf meine Armbanduhr, es blieben noch gute fünf Stunden bis zum Sonnenaufgang. Die meisten Menschen schliefen sicherlich schon, aber ich hatte dennoch ein wenig Hoffnung, dass Evelyn kommen würde, falls sie sich erinnerte. Immerhin blieb mir mein letzter Rest an Optimismus erhalten. Allerdings wusste ich, dass es an der Zeit war, Vorkehrungen zu treffen. In den nächsten Tagen würde ich einen Brief schreiben und ihn hier deponieren. Es war keine besonders gute Alternative, aber wenn Evelyn irgendwann hierher kam, dann würde sie zumindest eine Nachricht von mir finden. Sie musste wissen, dass ich immer noch an sie dachte. Sie sollte mich zumindest erreichen können… Ein Geräusch ließ mich plötzlich aufhorchen. Den normalen Lärm, der von der Hauptstraße und den vorbeirauschenden Autos herrührte, hatte ich ohnehin ausgeblendet, er war sowieso weiter entfernt als dieses Geräusch, das rasch näher kam. Es klang so, als würde jemand oder etwas den schmalen Pfad zum Haus hoch gelaufen kommen. Das Laub raschelte unter der Last der schnellen Schritte und mir war sofort klar, dass es kein Tier war. Die Bewegungen waren die eines Menschen. Mein Körper sprang automatisch hoch, angezogen von der sterblichen Präsenz und dem berauschenden Geruch. Ich hätte mich nicht zur eingefallenen Tür drehen müssen, um zu wissen, dass sie es war. Evelyns Duft war unverkennbar, er hatte mich schon erreicht, ehe sie den Raum überhaupt betreten hatte. Ihr Atem schien sich zu überschlagen und ihr Körper strahlte noch mehr Wärme ab als sonst. Ihre Wangen waren rötlich gefärbt, sie glühten vor Hitze. Sie musste zeitweise gerannt sein, denn ihre Haut glänzte ein wenig von der Anstrengung. Und der Geruch, den sie nun verströmte, war so verlockend, dass ich sie am liebsten sofort in meine Arme gezogen hätte. Erst wollte ich einen Schritt auf sie zu machen, wollte sie am liebsten sofort an meine Brust drücken und sie halten… doch Evelyn war schließlich endlich gekommen und sie schien etwas sagen zu wollen, also bemühte ich mich, ruhig zu bleiben und abzuwarten. Sie sollte vor Schreck nicht gleich wieder verschwinden, nur weil ich meine Sehnsucht nicht bremsen konnte.
„Ich stand in der Küche, um die Spülmaschine einzuräumen“, begann sie hastig, „und die Weingläser stellte ich auf die Arbeitsplatte. Ich wollte sie von Hand spülen, damit sie in der Maschine nicht kaputt gehen oder Kratzer bekommen. Ich habe die Gläser also abgewaschen und als ich sie abtrocknete, ist mir eins aus der Hand gefallen.“ Da stand ich nun, starrte sie an und sagte nichts, sondern hörte ihr einfach nur zu, weil ich mir fast denken konnte, was noch kommen würde.
„Richard sprang vom Küchentisch auf, denn er wollte das Glas auffangen, aber er war natürlich zu langsam. Es ist wohl in hundert Teile zersprungen“, sie lachte kurz auf. „Richard war nun einmal nicht schnell genug. Nicht… nicht so wie du“, ihre Stimme schien zu brechen und sie begann zu flüstern. „In dem Moment, als das Glas auf den Fliesen aufschlug, konnte ich mich plötzlich wieder an alles erinnern. An alles.“ Ihr durchdringender Blick hielt mich unweigerlich fest. „Du hast das Glas damals aufgefangen, ehe es auf den Fußboden fallen konnte, Peter.“
Ich hatte diesen besagten Moment natürlich nicht vergessen, denn er hatte alles verändert. Mir kam es vor, als wäre es erst gestern gewesen. Sie hatte mich zum ersten Mal zu sich eingeladen. Wir hatten uns in der Küche aufgehalten, weil sie etwas gekocht hatte. Es hatte wirklich ausgezeichnet geduftet, doch wie hätte ich ihr vorher sagen sollen, dass
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