Erlösung
gesund. Ihr Erscheinungsbild glich wieder dem, das sie mir bei unserer allerersten Begegnung präsentiert hatte; perfekt sitzender Hosenanzug, die Haare lagen in glänzenden Locken auf ihren Schultern und sie blickte mich mit der gleichen Souveränität an, die Vincent so an ihr schätzte.
„Hallo.“ Zuerst begrüßte ich Liz. Ich streckte ihr meine Hände entgegen und sie nahm meine Einladung an. Sie schmiegte sich sofort in meine Arme und sie versuchte anscheinend ebenso Stärke zu zeigen wie Rebecca, aber ich spürte, wie schwach sie eigentlich war. Peters Worte schnitten sich abermals unbarmherzig in mein Bewusstsein. Ja, möglicherweise hätte ich sie bereits verwandeln sollen, dann wären ihr immerhin diese Schmerzen erspart geblieben. Aber die Verwandlung war auch brutal, unsägliches Leid, das keine besonders gute Alternative zu ihrer jetzigen Situation darstellte, außer der Tatsache, dass es irgendwann nachließ. Der Krebs würde jedoch bis zum bitteren Ende an ihrem Körper nagen und sich an ihr laben, solange bis nichts mehr von ihrer Zartheit übrig sein würde.
„Guten Tag Mr. De Winter.“ Rebecca Martin unterbrach meine düsteren Gedankensprünge. Meine Manieren ließen wieder einmal völlig zu wünschen übrig.
„Wir waren doch bei Nicholas“, entgegnete ich freundlich und streckte ihr eine Hand entgegen, die sie lächelnd ergriff.
„Ja, stimmt.“
Vincent stand auf einmal neben mir, er strich Lesley behutsam eine Haarsträhne aus der Stirn. „Wie fühlst du dich heute, meine Liebe?“ Seine Besorgnis war ehrlich und ich war froh, dass er in punkto Liz inzwischen auf meiner Seite war. Anfangs hatte er versucht unsere Liaison zu unterbinden, doch er hatte schnell gemerkt, wie ernst es mir war. Und die kurze Zeit, die er mit ihr verbracht hatte, war wohl ausreichend gewesen, damit er erkennen konnte, wie wunderbar sie war.
„Besser als gestern, danke“, antwortete Lesley an meiner Brust. „Dein Ärzteteam scheint sehr kompetent zu sein.“
Ich starrte Vincent fragend an. „Ärzteteam?“
„Ich sagte doch bereits, dass es Lesley so komfortabel und angenehm wie möglich haben soll, solange wir weg sind. Dazu gehört auch, dass eine medizinische Versorgung gewährleistet ist. Die Beste selbstverständlich, ich möchte schließlich keine Klagen hören.“
„Du sollst dir keine Gedanken um mich machen müssen.“ Die tiefblauen Augen meines Engels strahlten mich an und ich kam nicht umhin mich zu fragen, wie leuchtend sie wohl sein würden, wenn sie endlich eine von uns war.
Vincent gab Rebecca ein Zeichen, sie drehte sich um und verließ sogleich darauf das Büro. „Der Rat wird dich kennen lernen wollen, Liebes, da du jetzt schon einmal hier bist.“ Seine Aussage ließ mich beinahe innerlich frösteln.
„Das halte ich für keine so gute Idee.“
„Es ist nötig, Nicholas.“ Er ging zur Fensterfront und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. „Zum einen redest du hier nicht von irgendwelchen daher gelaufenen Unsterblichen, sondern von den Ältesten. Zum anderen müssen sie sich davon vergewissern, dass Lesley dich liebt und nicht nur mit dir zusammen ist, weil sie nicht sterben will.“
„Du weißt, dass es nicht so ist“, protestierte ich wohl etwas zu scharf.
„Ich schon, ja, aber der Rest des Rats will sich selbst ein Bild von ihr machen.“ Vincent blieb so ruhig und besonnen wie immer. „Es kann definitiv von Nutzen für uns sein, wenn die Ältesten Liz mögen. Vergiss´ nicht, dass eine frühzeitige Verwandlung ein Regelverstoß ist und es wird nur vielleicht eine Ausnahme gemacht. Und auch dann bleibt es eine einmalige Sache. Ich möchte nur, dass wir alle Vorteile nutzen, die uns zur Verfügung stehen.“ Er hatte wie so oft recht.
„Mach´ dir keine Sorgen um mich, Nicholas. Ich komme schon klar.“
„Im allerbesten Fall finden wir sogar einen unter ihnen, der sich ihrer annimmt.“ Vincent schien über diese Möglichkeit erfreut zu sein. Mir widerstrebte dieser Gedanke jedoch. Unter dem Schutz eines Ältesten zu stehen wäre natürlich sicherer, aber ich konnte dieser Möglichkeit dennoch nichts abgewinnen, was gewiss nur an meiner Eifersucht lag. Insgeheim wollte ich sie selbst verwandeln, kein anderer sollte sie anfassen, geschweige denn eine Blutsverbindung mit ihr eingehen dürfen. Es ging hier allerdings um Lesley, da war kein Platz für mein Ego. Wir lebten schließlich nicht mehr im Mittelalter, so etwas wie ein jämmerliches Vorrecht
Weitere Kostenlose Bücher