Erlösung
auch wollte. Als Vampir hatte ich keine funktionierenden Tränenkanäle mehr, aber ich konnte wenigstens auf meine Weise trauern. Die Erinnerungen und Empfindungen würden in meinem Bewusstsein bleiben, wie schmerzhaft es auch sein mochte.
Letzte Worte
Draußen wurde es langsam dunkel, mein Zeitgefühl hatte mich auch jetzt im Stich gelassen, aber das war nicht wichtig. Letzten Endes diente es einem Vampir hauptsächlich dazu, zu wissen, wann man raus konnte, um Nahrung zu suchen. Durch Schottland hatte ich aber genug Blut aufgenommen, sodass ich nicht so bald wieder trinken musste. Vincents Blut würde mir sogar noch mehr Spielraum geben. Es gab nichts, was noch im Wege stand. Ich blickte auf den warmen Körper neben mir. Lesley war nach einer Weile eingeschlafen. Eine natürliche und logische Sache, wenn man bedachte, was sie alles mitgemacht hatte, vor allem in ihren Zustand. Das würde ich ab jetzt nicht mehr vergessen oder ignorieren. Ich beugte mich ein Stückchen nach unten, und meine Lippen streiften ihr Ohr. „Engel, wach auf.“
Sie blinzelte. „Hmm. Alles okay?“, fragte sie mit müder Stimme.
„Noch nicht, aber bald. Sehr bald.“ Ich küsste ihre Stirn. „Sag mir wo du hin willst.“
„Was meinst du?“ Sie streckte sich ein wenig.
„In welches Land wolltest du schon immer mal reisen? Welche Stadt möchtest du unbedingt sehen?“
Sie setzte sich langsam auf. „Venedig. Ich würde so gern zum Karneval nach Venedig. Alle verkleiden sich und man soll sich fühlen, als wäre man einfach in die Vergangenheit gereist. Das muss großartig sein. Dann wäre ich vielleicht einmal ganz nah dran an deiner ursprünglichen Epoche.“ So sehr ich diesen Gedanken auch mochte, musste ich ihn trotzdem erst einmal beiseite schieben.
„Bis zum Karneval dürften es aber noch ein paar Wochen sein, das dauert zu lange. Ich verspreche dir, wir machen das ein anderes Mal.“ „Es muss also sofort sein?“
„Ja.“
„Wieso?“
„Überraschung.“
„Hm, dann fällt mir Paris ein, weil ich noch niemals im Louvre war. Bisher habe ich nur Gutes gehört, aber das muss ich dir ja natürlich nicht sagen.“
„Der Louvre“, wiederholte ich nachdenklich.
„Das ist zu gefährlich, oder? Am Tag mit so vielen hundert Menschen? Entschuldige, ich habe nicht nachgedacht.“
Ich legte eine Hand auf ihre. „Nein, nein, das ist wunderbar. Paris, Frankreich, das ist perfekt.“ Ein Lächeln zuckte in meinen Mundwinkeln. „Ich war an der Universität in Cambridge, inmitten einer Psychologievorlesung, schon vergessen? Viel offensichtlicher geht es kaum.“
„Ja, das stimmt wohl“, sie lächelte auch. „Das ist alles noch gar nicht so lange her, aber es kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit.“
„Liegt sicherlich daran, dass so viele Dinge passiert sind. Schlimme, schmerzhafte… es ist also höchste Zeit für eine positive Veränderung.“ Ich stand abrupt auf und Lesley rollte durch meine schnelle Bewegung ein wenig zur Seite.
„Was ist?“ Sie wirkte aufgeschreckt.
„Lass uns packen und dann geht’s noch heute nach Paris.“
„Wie bitte?“ Lesley richtete sich im Bett auf. „Mit einem Zwischenstopp könnten wir in gut fünf bis sechs Stunden da sein.“
Als es plötzlich an der Tür klopfte, zuckten wir beide gleichzeitig zusammen. „Ja, bitte?“, rief ich und das oberste Ratsmitglied spähte im nächsten Moment ins Zimmer. Ich hatte ihn überhaupt nicht kommen hören. „Sir?“
„Verzeiht die Störung, das ist nicht meine Art, da ihr sicherlich wichtigere Dinge zu tun gedenkt, doch ich habe etwas für dich, Nicholas.“ Aribo streckte mir einen weißen Umschlag und ein kleines Päckchen entgegen. „Ich denke, dass du das gern hättest. Vincent hat mir die beiden Dinge vor unserer Abreise nach Schottland für dich gegeben.“
Meine Finger berührten kaum das feste Papier des Kuverts, als meine Augen bereits die verschnörkelte Handschrift auf dem Umschlagsrücken erkannten. Es war eindeutig die Schrift meines Schöpfers. „Danke.“ Meine Höflichkeit agierte von selbst, ohne dass ich es noch wirklich registrierte. Normalerweise hätte ich gefragt, warum er mir nicht schon früher etwas von dem Schriftstück gesagt hatte, aber da es sich um das Oberhaupt des Rats handelte, biss ich mir lieber auf die Zunge.
„Das war auch schon alles, ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“ Aribo verabschiedete sich so schnell wie er gekommen war. Er verließ den Raum und meine
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