Ersehnt
Erinnerungen an die vergangene Nacht, wie ich Reyn im dunklen, kalten Wald geküsst hatte. Meine Wangen wurden ganz warm und ich beugte mich tiefer über meine Arbeit.
Reyn. Wieso verfolgte er mich? Er wirkte dabei nicht glücklich, nicht so, als hätte er in mir eine Seelenverwandte gefunden und als würde sein Leben jetzt erst richtig anfangen. Es kam mir eher vor, als würde ihn irgendetwas zwingen, es gegen seinen Willen zu tun. Was ich natürlich sehr amüsant fand. Aber dennoch hasste ich die Tatsache, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühlte, dass ich ihn so umwerfend fand.Ich war richtig gut darin, unangenehme Dinge aus meinem Kopf zu verbannen, und setzte diese Fähigkeit jetzt mit Erfolg ein. Ich fragte mich, was es wohl zum Abendessen geben würde, wie Meriwethers Silvester gewesen war, was Dray so machte, denn ich hatte sie einige Zeit nicht gesehen. Ich überlegte, wieso Charles hier war, wieso Lorenz hier war ... Vielleicht sollte ich sie einfach fragen.
»Lorenz?«
Einen Moment später tauchte sein hübsches Gesicht an der Tür auf,.die Brauen perfekt über den tiefblauen Augen hochgezogen. »Was ist?«
»Wieso.bist du hier?« Ich machte eine weite Handbewegung, um »in River's Edge« anzudeuten und nicht etwa »hier im Stall«. Er blinzelte überrascht und ich konnte ihm ansehen, wie er überlegte, was er sagen sollte oder ob er überhaupt etwas sagen sollte.
Er kam herein und blieb an der Tür stehen. Ich stellte verblüfft fest, wie sich seine Ausstrahlung verändert hatte - normalerweise war er draufgängerisch, amüsant, charmant und so selbstbewusst, wie die meisten unglaublich gut aussehenden Männer es sind. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, hob die Hand und ließ sie wieder sinken.
Ich polierte ganz leise einen Sattel und ließ ihn nicht aus den Augen. Das dürfte eine gute Story werden.
Seine Finger zupften am Stoff der italienischen Tuchhose, die er zum Stallausmisten gewählt hatte. »Ich ... «, begann er und starrte erst an die Decke, dann auf den Boden. »Ich habe ... «
Ich hielt den Atem an. Die fröhliche, nette Brynne hatte versucht, jemanden in Brand zu stecken, und deshalb wagte ich nicht einmal ansatzweise, mir vorzustellen, wieso Lorenz hier war.
»Ich habe zweihundertfünfunddreißig Kinder«, sagte er, was mich beinahe aus den Schuhen kippte. »Oder so.« Er sah mich nicht an und gab sich cool, aber als Königin der Coolness durchschaute ich ihn natürlich.
Mir wurde bewusst, dass ich ihn mit offenem Mund anglotzte, und so klappte ich den Mund zu, nickte und putztenoch etwas mehr an dem Sattel herum, während in mir ein ganzer Sturm von Fragen aufwirbelte.
»Wow«, sagte ich gelassen, als würde ich - na klar, was sonst? - dauernd so etwas hören. Nur zweihundertfünfunddreißig sagst du? Also, ich kenne da einen Mann, der hat ...
»Das ist viel«, gab ich zu. »Alles Unsterbliche?« Kaum zu fassen, wie schnell wir uns vermehren.
»Nein.« Er strich sich das dichte schwarze Haar von den Brauen. »Etwa sechzig Unsterbliche. Glaube ich.«
Ich erkannte es sofort: Ihm stand der Tod von ungefähr hundertsiebzig seiner Kinder bevor, die eins nach dem anderen wegsterben würden. Wer tat sich denn so was an?
»Aber ... warum verhütest du nicht?« Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Es wollte mir nicht in denKopf. Hatte der Mann denn noch nie was von Kondomen gehört?
»Es ist ... nicht leicht ... im Eifer des Gefechts ... « Er lächelte verlegen die Wand an.
Das wurde ja immer besser.Wo war ich hier nur gelandet? Auf jeden Fall noch nicht in der Neuzeit, wenn ich mir unseren italienischen Don Juan hier so betrachtete. Oh, himmlische Göttin!
»Und du kannst das Poppen nicht lassen?« Offensichtlich nicht.
»Ich versuche ja, es zu verstehen«, sagte er. Deswegen war er hier. Um herauszufinden, warum er sich selbst und seinen Kindern so etwas antat, den Kindern, denen er sicher kein Vater war, nicht ihnen allen - ganz zu schweigen von den Frauen, die er im Stich gelassen hatte.
»Heilige Scheiße - du bist doch erst hundert oder so!« Dieser Gedanke verließ meinen Mund, bevor ich ihn aufhalten konnte.
Er nickte.
Oh, mein Gott - sagen wir mal, dass er mit zwanzig angefangen hatte. Dann hatte er in achtzig Jahren zweihundertfünfunddreißig Kinder gezeugt, zumindest waren das die, von denen er wusste. Bestimmt waren einige davon schon tot - Krankheiten, Unfälle. Aber ihm standen
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