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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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nur durch eine sonderbare Fügung unter die Aufständischen und Gefangenen geraten war; und mit bedeutungsvollem Lächeln fügte die Wärterin hinzu, daß der Graf täglich käme, sich nach ihr zu erkundigen, oft lange Zeit an ihrem Bett verweilt und sie bewegt betrachtet hätte. Ein alter Arzt trat ins Krankenzimmer, zeigte sich nicht sonderlich erstaunt, Dionysia bei Bewußtsein zu finden, da er diesen Umschwung für den heutigen Tag erwartet hätte, nahm eine Untersuchung der Leidenden vor, vermied mit deutlicher Absicht jede Frage nach Dionysias Herkunft und Schicksal und stellte baldige vollkommene Genesung in Aussicht. Dann erhob er sich, verabschiedete sich mit auffallender Höflichkeit und traf am Ausgang mit einem jungen Mann in glänzender Uniform zusammen, dem er freundlich, aber bestimmt, den Eintritt zu verweigern schien, worauf sich hinter beiden die Türe schloß. Doch hatte Dionysia Zeit genug gehabt, einen lebhaften Blick aus hellen Mannesaugen aufzufangen, und sie erinnerte sich wie aus einem Traum, daß diese selben Augen auf ihr geruht hatten, als sie fiebernd und sinnverlassen zwischen ragenden Lanzen durch hallende Straßen in das Gefängnis geführt worden war.
    Von Tag zu Tag fühlte sie sich kräftiger werden; allmählich stellte sich auch wieder die Klarheit des Denkens ein, und noch immer sah sie niemanden, außer der Wärterin und dem Arzt, der in einer gewissen vertraulichen Weise auf geheime Freunde anspielte, die an dem Geschick der Kranken wärmsten Anteil nähmen, denen aber gerade in diesen Tagen der fortschreitenden Genesung der Zutritt strenge verwehrt sein müßte. Dionysia hörte all dies mit Gleichgültigkeit an. Sie war entschlossen, sobald sie sich völlig gesund fühlte, die so schlimm unterbrochene Reise nach ihrer Heimat fortzusetzen, vor ihren Gatten hinzutreten, ihm ihre Schicksale zu berichten und ihn zu fragen, ob er sie, seines Wortes eingedenk, trotz allem, was ihr widerfahren, in seinem Hause wieder aufnehmen wollte. Doch fühlte sie auf dem Grunde dieses Vorsatzes mehr Neugier als Sehnsucht, und ein Wiedersehen mit Erasmus lockte sie wie ein neues Abenteuer, nicht als der Abschluß ihres wechselvollen Wanderlebens.
    Am Morgen, da sie sich zum erstenmal aus dem Bett erhoben hatte, von dem Balkon ihres Krankenzimmers in ein Gärtchen hinuntersah, und ihre Blicke weiter hinaus über die zerstampften und erstickten Felder schweifen ließ, trat der junge Graf bei ihr ein und entschuldigte sich vor allem wegen der Verfügungen, die er wohl in bester Absicht, doch ohne jede Ermächtigung zu treffen sich erlaubt hätte. Dionysia dankte ihm lebhaft, doch ohne Verwunderung und erklärte nur so vieler Freundlichkeit gegenüber sich zur Mitteilung verpflichtet zu fühlen, wem man sie erwiesen. Aber einer plötzlichen Eingebung folgend, nannte sie einen Namen als den ihren, den sie nie geführt, als Wohnort eine kleine Stadt, in der sie nie geweilt, und teilte ihrem Gatten einen Beruf zu, den jener niemals ausgeübt hatte. Mit einer ihr selbst erstaunlichen und neuen Freude am Lügen, die sie im Anhören ihrer eigenen Worte wachsen fühlte, erzählte sie, wie sie auf dem Gut von Freunden zu Gast gewesen und auf der Rückreise von einer aufrührerischen Horde aus dem Wagen gerissen und beraubt, ihr Leben nur hätte retten können, indem sie sich als geheime Anhängerin der Aufständischen bekannte; wie sie nun tagelang mit jenen fürchterlichen Menschen in der Irre umhergezogen wäre und endlich unschuldig und gezwungen deren Schicksal hätte teilen müssen. Nun aber war es an der Zeit heimzukehren, und so müßte ihr Dank zu gleicher Zeit ihren Abschied bedeuten. Der junge Graf war betrübt, doch schien er in seine zurückhaltende Rolle so eingewöhnt oder von Natur so schüchtern, daß er keinen Widerspruch versuchte und sich nur als letzte Erlaubnis erbat, Dionysia einen guten Wagen für die Reise zu besorgen. Sie wiederum, so sehr sie sich auch sehnte von der dunklen und bebenden Stimme des Grafen zärtlichere Worte zu vernehmen, fand soviel Vergnügen an ihrer ihr selbst neuen Verstellungskunst, daß sie wie in überströmender Dankbarkeit des Grafen Hand ergriff und ihn mit Augen anblickte, die sie, wie sie mit Befriedigung merkte, je nach Willen in feuchtem Glänze aufleuchten oder trüb konnte verlöschen lassen. Gleich nachdem der Graf sich entfernt hatte, traf sie Anstalten zur Abreise. Der Arzt kam, schien über ihr Beginnen unwillig und versicherte, keinerlei

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