Erzaehlungen
Bürgschaft übernehmen zu können, ob sie nicht etwa die Reise gleich würde unterbrechen und dann in irgendeinem schlechten Wirtshaus tage-und nächtelang krank liegen müssen. Dionysia, wohl merkend, daß der Arzt mit dem jungen Grafen im Einverständnis handelte, spielte zuerst die Widerstrebende, dann die Zögernde und versprach am Ende seufzend, sich Anordnungen zu fügen, deren vernünftiger Begründung sie sich nicht verschließen könnte. Am Abend kam der junge Graf wieder und schlug Dionysia vor, da die Abreise nun doch einmal hinausgeschoben wäre, sie möge bis zum Eintritt ihrer vollkommenen Genesung ein bescheidenes ihm gehöriges in frischer Waldluft gelegenes Jagdhäuschen bewohnen. Eine Dame vom besten Ruf werde ihr als Gesellschafterin zur Seite gegeben werden, um jede üble Nachrede von Anbeginn auszuschließen. Dionysia entgegnete, daß sie selbst sich Sicherheit und Bürgschaft bedeute, erklärte aber, die Einladung des Grafen nur dann annehmen zu dürfen, wenn er sich verpflichtete, das Jagdhaus während der Dauer ihres Aufenthaltes überhaupt nicht zu besuchen. Er neigte das Haupt tief wie zum Zeichen völliger Unterwerfung, sie aber hielt sich in diesem Augenblick nur mit Mühe zurück, die Arme nach ihm auszustrecken und ihn an ihre Brust zu ziehen.
Am nächsten Morgen bezog sie das Jagdhaus, das einfach und wohlgehalten zwei Stunden von der Stadt entfernt in laubdunkler Einsamkeit dalag. Ein hübsches Bauernmädchen war zu Dionysias Empfang und weiterer Bedienung anwesend und verhielt sich still und gefällig. Die Speisen waren wohlschmeckend und trefflich bereitet, das Bett köstlich und weich. Auf den gut gehaltenen Wegen unter hohen kühlen Wipfeln erging sich Dionysia ungestört wie in einem abgeschlossenen Park. Oft lag sie stundenlang auf freiem Wiesenplatz, die Arme unter dem Haupt verkreuzt, die halbgeschlossenen Augen im schwindenden Blau des Himmels verloren. Schmetterlinge, vorüberflatternd, berührten ihre Stirn, der kühle Atem des Waldes strich über ihre Lider und Haare hin, und aller Lärm der Welt verklang in fernen Gründen.
Eines Morgens, da Dionysia das Haus verlassen wollte, zogen schwere Wolken auf und blieben dunkel schweigend über den Wipfeln hängen. Dionysia ging in den niedern Zimmern hin und wieder, spazierte vor der Tür auf und ab, und eine wehe Beklommenheit stieg in ihrer Seele auf. Zu Mittag rührte sie die Speisen nicht an, das Mädchen fand sie am gedeckten Tisch in Tränen, erhielt auf seine Fragen keine Antwort; und erschrocken sandte es in die Stadt nach dem Grafen, der ihm die Obhut über die schöne Frau anvertraut hatte. Am späten Abend, während ein schwül hingezögertes Gewitter mit Hagel, Donner und Blitz endlich niederging, trat so unerwartet als ersehnt der junge Graf ins Zimmer, und sein Glück war ohne Maß, als Dionysia, die er als eine Verstörte oder neuerdings Erkrankte zu finden gefürchtet, mit glanzhellen Augen und jauchzender Begrüßung an seine Brust stürzte.
Doch noch im Dämmer derselben Nacht, in der sie sich ihm gegeben, versicherte ihm Dionysia, daß diese erste zugleich die letzte bedeuten müsse. Der Graf in der rasch erwachten eifersüchtigen Neugier des Besitzenden drang auf Erklärung. Dionysia darauf in einem unbezwinglichen Drang, den Geliebten zu quälen, gab vor, ihr sei mit einem Male, als hätte sie in jener furchtbaren Nacht vor den Toren der ummauerten Stadt, schon vom dumpfen Fieber befallen, mit Schaudern, aber wehrlos, nicht einem, sondern vielen ihrer wilden Gefährten angehört; ließ aber zugleich die Möglichkeit bestehen, daß all dies nur ein grauenhafter Traum gewesen sein mochte, der nun in der Erinnerung wie eine unerträgliche Wahrheit sie bedrücke. Der junge Graf fiel in Verzweiflung, von der tiefsten Verzweiflung in neue Lust, von der höchsten Lust in tolle Raserei, schwur, die Geliebte auf der Stelle zu töten, und flehte sie am Ende doch an, ihn nur nicht zu verlassen, da ein Dasein ohne ihren Besitz ihm von dieser Stunde an nutzlos und elend dünkte.
Dionysia blieb. Und bald war ihre Seele dem Grafen so völlig hingegeben, daß sie all ihrer Lügen sich zu schämen, ja unter ihnen zu leiden begann und endlich den Wunsch in sich aufsteigen fühlte, dem Geliebten die wahre Geschichte ihres Lebens mitzuteilen, was sie nun aber wieder, in Angst durch dieses späte Geständnis neues Mißtrauen zu erwecken, von einem Tag zum andern hinausschob.
Da erschien an einem regenschweren Herbsttag ein
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