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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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zum Heile des Landes geschähe. Der Fürst, aufleuchtenden Auges, stimmte zu. Unverzüglich wurde der Rat der Edlen zusammenberufen. In durchglühtem Ernst trug der Fürst seinen Willen vor, und kein Widerspruch wurde laut. Die Neuigkeit wurde im Volke bekanntgemacht, und es war Sorge getragen, daß sie mit Jubel begrüßt würde. Des Abends flammten Lichter in allen Fenstern auf, anscheinend freudig erregte Scharen zogen durch die Straßen, und was man von Reden erlauschen konnte, klang nicht anders, als wäre am heutigen Tag einem geliebten Fürsten von einer edlen Gattin der langersehnte Erbe geboren worden. Zum ersten Male wieder seit langer Zeit ließ Dionysia sich täuschen und hielt die bezahlten oder durch Furcht erzwungenen Freudenäußerungen der lärmenden Menge für die neuerwachte Hoffnung einer herzenswarmen, niemals ganz verloren gewesenen und darum leicht wiedergewonnenen Bevölkerung. Innern Jubels voll trat sie mit dem Fürsten auf den Balkon, vor dem die Menge sich staute. Die Leute riefen nach dem Prinzen immer lauter, als wäre es ihr gutes Recht, den Erben des Reichs an dem großen Tag, da sein erhabenes Schicksal sich entschieden, von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Neu beglückt eilte Dionysia nach den Gemächern ihres Sohnes. Es fiel ihr kaum auf, daß die Wache fehlte, die sonst an der Türe zu stehen pflegte. Sie eilte weiter. Da sah sie die Erzieherin des Prinzen gleich einer Betrunkenen am Eingang liegen. Von böser Ahnung erfaßt, stürzte Dionysia ans Bett ihres Sohnes und fand ihn mit gebrochenen Augen, verzerrtem Antlitz, eine tiefe Wunde auf der Stirn, tot auf dem rotdurchfeuchteten Linnen. Nur einen Augenblick stand Dionysia starr, dann ergriff sie den Leichnam ihres Kindes, stürzte mit ihm von Zimmer zu Zimmer, durch Gänge, über Treppen, durchs ganze Schloß, das wie ausgestorben schien, endlich, immer die blutige Leiche des Prinzen auf den Armen, fand sie sich wieder auf dem Balkon, wo der Fürst allein stand, zeigte zuerst ihm, dann der Menge unten das ermordete Kind und rief sie mit dunkel beschwörenden Worten zu furchtbarer Rache auf. Der Fürst aber, als hätte er ein Gespenst gesehen, war sofort von dannen geeilt, Dionysia stand allein, – und unten vor dem Schloß war mit einemmal jeder Laut erstorben. Kein Jammerruf antwortete der klagenden Mutter, kein Schrei der Wut grimmte auf; – als zweifelte keiner, daß ein von Gott, nicht von übelgesinnten Menschen verhängtes Schicksal hereingebrochen wäre, gegen das jede Auflehnung vergeblich, ja frevelhaft wäre, schweigend, geduckt, wie Zeugen eines längst erwarteten Gerichts schlichen alle die Tausende davon und verschwanden im Dunkel der Nacht. Die erneuten Entsetzensschreie Dionysias gellten ins Leere und endlich, mit dem blutigen Rinderleichnam im Arm, sank sie auf die Steinfliesen hin.
    Als sie erwachte, war eine große Stille um sie. Sie war allein, und die Leiche des Kindes war fort. Einen Augenblick wollte sie sich einbilden, daß sie aus einem grauenhaften Traum erwacht sei. Der Anblick ihrer blutigen Hände rief sie in die Wirklichkeit zurück. Sie erhob sich, sah um sich und hinab über die Balustrade. Das Morgengrauen schlich trüb über den verlassenen Schloßplatz. Dionysia eilte von Gemach zu Gemach. Kein lebendes Wesen war zu sehen. Keine Wache auf den Gängen, kein Lakai, in den Stallungen kein Pferd und kein Wagen; Dionysia war völlig allein. Wie ein Ort des Fluchs schien das Schloß von allen Atmenden verlassen. Eine Angst ohnegleichen packte Dionysia, und sie wagte nicht, ins Freie zu treten. Da erinnerte sie sich mit einemmal eines unterirdischen Gangs, der von ihrem Schlafgemach aus nach dem fürstlichen Residenzschlosse führte. Durch eine nur ihr bekannte Tür trat Dionysia ins Dunkle, stürmte fort immer geradeaus, mit wändestreifendem Kleid. Allmählich begann mattes Licht um sie her zu spielen, endlos schien der Weg; wie verfolgt jagte sie weiter, bis sie endlich wieder eine Tür erreichte, die sie aufstieß, um plötzlich, wie aus der Wand gespieen, vor dem Fürsten dazustehen, der einsam in dunkler Gewandung vor seinem Schreibtisch saß, auf dem eine Kerze brannte. Er fuhr zusammen, seine Augen flackerten, er versuchte, ein Blatt zu verbergen, das vor ihm lag; sie griff darnach, er ließ die zitternden Hände sinken; – und Dionysia las ihr eigenes Todesurteil, auf dem nichts weiter fehlte als die Unterschrift des Fürsten. Erbärmlicher als sie ihn jemals gesehen, aller Hoheit

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