Erzaehlungen
gestützt, und überlegte. Wo mochte Hugo sein? Bei der Baronin am Ende? Das war undenkbar. So rasch konnten diese Dinge sich nicht vollziehen. Aber, bestand überhaupt noch eine Möglichkeit, den geliebten Buben vor einem so kläglichen Abenteuer zu bewahren? Sie fürchtete, nein. Denn sie ahnte ja: wie Hugo die Züge seines Vaters trug, so rann auch dessen Blut in ihm, das dunkle Blut jener Menschen aus einer andern, gleichsam gesetzlosen Welt, die als Knaben schon von männlich-düsteren Leidenschaften durchglüht werden und denen noch in reifen Jahren Kinderträume aus den Augen schimmern. Das Blut des Vaters nur? Rann das ihre etwa träger? Durfte sie sich das heute einbilden, einfach darum, weil seit dem Tode des Gatten keine Versuchung an sie herangetreten war? Und weil sie niemals einem andern gehört hatte, war darum minder wahr, was sie dem Gatten einstmals gestanden: daß er nur darum ihr ganzes Leben als Einziger erfüllt hatte, weil in den tiefen Nächten, da ihr sein Antlitz verdämmerte, er ihr immer wieder einen andern, einen neuen bedeutete, – weil sie in seinen Armen des königlichen Richard Geliebte war und Cyranos und Hamlets und all der andern, die er spielte: die Geliebte von Helden und Bösewichtern, Gesegneten und Gezeichneten, spiegelklaren und rätselvollen Menschen? Ja, hatte sie nicht, halb unbewußt, nur darum schon als junges Mädchen den großen Schauspieler sich zum Gatten gewünscht, weil eine Verbindung mit ihm ihr die einzige Möglichkeit bot, den ehrbaren Lebensweg zu gehen, der ihr nach ihrer bürgerlichen Erziehung vorgezeichnet schien, und doch zugleich das abenteuerlich-wilde Dasein zu führen, nach dem sie in verborgenen Träumen sich sehnte? Und sie erinnerte sich, wie sie sich Ferdinand, nicht nur gegen den Willen ihrer Eltern, deren frommer Bürgersinn den leisen Schauder vor dem Komödianten auch nach vollzogener Heirat nie ganz verwinden konnte, sondern auch gegen einen viel bedenklicheren Feind zu erobern verstanden hatte. Zur Zeit, als sie Ferdinand kennenlernte, stand er in stadtbekannten Beziehungen zu einer nicht mehr jungen, reichen Witwe, die den jungen Schauspieler in seinen Anfängen vielfach gefördert, ja öfters seine Schulden bezahlt haben sollte, und von der loszureißen es ihm, wie es hieß, nun an der nötigen Willenskraft fehlte. Damals hatte Beate den romantischen Entschluß gefaßt, den herrlichen Mann aus so unwürdigen Banden zu befreien: und in Worten, wie sie nur das Bewußtsein einer niemals wiederkehrenden Stunde einzugeben vermag, von der alternden Geliebten Ferdinands die Lösung eines Verhältnisses gefordert, das an seiner inneren Unwahrheit doch über kurz oder lang, und dann vielleicht zu spät für das Heil des großen Künstlers und der Kunst zusammenbrechen müßte. Wohl erfuhr sie damals eine spöttisch-verletzende Abweisung, an der sie lange trug, und es dauerte noch ein volles Jahr bis zu Ferdinands endgültiger Befreiung; aber daß jene Unterredung den ersten Anlaß hierzu bedeutet, daran hätte Beate nicht zweifeln können, auch wenn ihr Gatte nicht selbst, immer wieder, auch vor Leuten, die es nicht im geringsten kümmerte, die Geschichte mit heiterem Stolz zum besten gegeben hätte.
Beate ließ die Hände von den Augen sinken und erhob sich in plötzlicher Erregung vom Diwan. Wohl lagen bald zwanzig Jahre zwischen jenem töricht-kühnen Schritt und heute; aber war sie seither eine andere geworden? War in ihr heute nicht die gleiche Zielbewußtheit und der gleiche Mut? Durfte sie sich heute nicht mehr zutrauen, das Schicksal eines Menschen, der ihr teuer war, nach ihrem Sinn zu lenken? War sie die Frau, die stumm warten mußte, bis ihres Sohnes junges Leben beschmutzt und für immer zerstört war, statt, wie einst vor jene andere, heute vor die Baronin hinzutreten, die am Ende doch auch eine Frau war und es irgendwo, wenn auch im verstecktesten Winkel ihrer Seele, verstehen mußte, was es bedeutete, Mutter zu sein? Und dieses Einfalles wie einer Erleuchtung froh, trat sie zum Fenster, öffnete die Läden, und in neuer Hoffnung nahm sie das Bild der lieben Landschaft wie einen Gruß der Verheißung in sich auf. Doch sie fühlte, daß es darauf ankam, den kühnen Entschluß noch mit dem Selbstvertrauen des ersten Augenblicks zur Tat zu machen; ohne weiteres Zögern begab sie sich daher in ihr Schlafzimmer und klingelte dem Mädchen, das ihr beim Ankleiden heute mit besonderer Sorgfalt behilflich sein mußte. Sobald dies zu ihrer
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