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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Einbildung gewesen war, die ihn früher überfallen, dessen war er jetzt wieder ganz gewiß. Ob man aber nicht doch, dachte er weiter, vorsichtshalber an die Schweizer Hoteldirektion schreiben sollte? Und wäre es auch nur, um etwaigen Verdächtigungen gegenüber eine Bestätigung in der Hand zu haben, daß Alberta an jenem Abend gleichfalls heimgekommen und daß sie am nächsten Tag in Gesellschaft eines anderen Mannes abgereist sei. Er warf einen Blick nach der Seite. Die bedenkliche Erscheinung des eleganten Herrn war verschwunden.
    Robert setzte seinen Weg fort und zwang sich, an etwas Gleichgültiges zu denken. Er versuchte, sich den Inhalt seiner letzten Arbeit – zur Statistik des niederösterreichischen Volksschulwesens – ins Gedächtnis zu rufen, und es beruhigte ihn, daß manche Einzelheiten daraus, an die er monatelang nicht mehr gedacht und die ihn im Grunde niemals sonderlich interessiert hatten, sich seinem ausgeruhten Geiste heute mit größter Klarheit darboten. Zugleich bedauerte er, und nicht zum ersten Male, daß auf einem anderen Gebiete, wo er weit besser zu Hause war, auf dem der musikalischen Unterrichtsfragen, seine Mitarbeiterschaft bisher nicht in Betracht gezogen worden war, und zweifellos nur darum, weil Hofrat Palm mit Eifersucht darüber wachte, daß man ihm nicht jemand an die Seite setzte, der von diesen Dingen mehr verstand als er selbst. Robert verspürte Heimweh nach seinem Kanzleiraum, nach dem großen Schreibtisch, dem bequemen, schwarzledernen Lehnsessel, den hohen Regalen mit den Aktenfaszikeln, den gelblichen Wänden mit den Landkarten und Tabellen, er sehnte sich nach einem Wirkungskreis, wo es ihm beschieden wäre, wahrhaft Nützliches zu leisten und die Anerkennung seiner Vorgesetzten, vielleicht gar ein Lob aus des Ministers eigenem Munde zu erringen, was ihm nicht nur zur Befriedigung seines Ehrgeizes, sondern auch aus einem anderen, ihm nicht gleich deutlich werdenden Anlaß von Wichtigkeit zu sein dünkte. Und nun entdeckte er zu seinem Verdruß, daß eine törichte Angst immer noch auf dem Grunde seiner Seele lauerte, etwa so, als könnte der düstere Wahn, der ihn selbst verlassen, unabhängig von ihm, wie ein freigewordener böser Geist, in anderen Menschen sein gefährliches Wesen weitertreiben. Doch als er, um sich blickend, an einem nachmittägig belebten Teil der Ringstraße unter vielen Menschen sich völlig unangefochten, ein harmloser Spaziergänger unter andern, fand, zerfloß auch diese letzte Einbildung in nichts.
    Unwillkürlich fiel sein Auge auf eine Frauengestalt, die in einem ziemlich armseligen, hellbraunen Mantel, mit einer schwarzen Rolle auf dem Schöße, auf einer Bank saß. Ihr Antlitz war blaß, nicht mehr jugendlich, fast vergrämt; jetzt, aufschauend, lächelte sie kaum merklich und sah gleich wieder vor sich hin. Robert setzte seinen Weg fort und blieb, von einem Landschaftsbild angezogen, vor der Auslage eines Kunsthändlers stehen, als im Spiegelfenster jene Frauengestalt wieder erschien, gesenkten Blickes, eilig vorüberschreitend. Robert wandte sich nach ihr um, sie ging weiter, ohne seiner zu achten, beide Hände in die Taschen ihres Mantels vergraben, aus deren einer die schwarze Rolle hervorragte. Ihr Gang war aufrecht und etwas schleichend; der anliegende, zu enge und zu lange Mantel verriet angenehme, nicht überschlanke Formen. Robert folgte ihr und überlegte, was sie eigentlich sein mochte. Beamtenfrau, dachte er, Buchhalterin? – Da sie ihren Schritt allmählich verlangsamt hatte, zweifelte Robert nicht, daß sie die Verfolgung nicht übelnahm, und an einer Straßenecke, schon weiter draußen in der Vorstadt, richtete er unbefangen das erste Wort an sie.
    »Würden Sie mir's übelnehmen, Fräulein, wenn ich um die Erlaubnis bäte, mich Ihrem Spaziergang anzuschließen?« – Sie darauf mit einer angenehmen Stimme, weder erstaunt noch beleidigt: »Es ist kein Spaziergang, ich gehe nach Hause.« Sie sah ihn kaum an. – »Aber die Erlaubnis«, meinte er, »darf ich wohl als erteilt betrachten?«
    Sie zuckte die Achseln, etwa, als wollte sie sagen: Mit mir muß man wirklich nicht so viel Geschichten machen; – dann erst sah sie ihn von der Seite an. Er sprach davon, daß sie ihm schon auf der Ringstraße aufgefallen sei; – wie sie auf der Bank gesessen war, die Hände in den Manteltaschen, die Rolle auf dem Schoß, den Blick vor sich hin gerichtet – das sei ein hübsches Bild gewesen. – »Sie sind doch kein Maler?« fragte

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