Erzählungen
Hier, mein lieber Crockston, nimm diese zehn Dollars.
– Zehn Dollars sind zu viel, Herr Kapitän, ich werde Ihnen das Uebrige seiner Zeit wieder herausgeben.
– Bist Du nun bereit?
– Ja, Herr Kapitän, bereit, um ein Erzstrolch zu werden.
– Dann vorwärts!
– Crockston, sagte das junge Mädchen mit bewegter Stimme, Crockston, Du bist doch der beste Mensch auf der ganzen Welt.
– Das glaube ich schon, antwortete der Amerikaner, indem er hell auflachte; aber Ihnen, Herr Kapitän, möchte ich noch etwas Wichtiges anempfehlen.
– Nun?
– Im Fall der General Ihnen vorschlagen sollte, Ihren Strolch hier in Charleston hängen zu lassen – Sie wissen, alte Soldaten pflegen in solchen Dingen nicht viel Federlesens zu machen – so antworten Sie ihm, daß Sie sich’s noch überlegen wollten.
– Das verspreche ich Dir.«
Noch am nämlichen Tage wurde Crockston zum großen Erstaunen der Mannschaft, die nicht mit in’s Geheimniß gezogen war, an Händen und Füßen gebunden und von etwa zehn Seeleuten an’s Land gebracht. Eine halbe Stunde später kam er in der Citadelle von Charleston an und wurde, trotz heftigen Widerstandes von seiner Seite, in die Gefangenen-Liste eingetragen.
Während dieses und der darauffolgenden Tage betrieb Kapitän Playfair mit großer Eile die Ausladung des Delphin, und die Bevölkerung der Stadt wohnte der interessanten Operation in großen Mengen bei und legte hier und da mit Hand an, indem sie den Matrosen half und ihnen Artigkeiten erwies. James Playfair ließ jedoch seinen Leuten nicht viel Zeit, das freundliche Entgegenkommen der Amerikaner zu erwidern; er trieb sie mit förmlich fieberhafter Hast an, die Arbeit zu beschleunigen, wozu die Seeleute allerdings den Grund nicht ahnten.
Drei Tage später, am 18. Januar, wurden die ersten Baumwollenballen im Schiffsrumpfe aufgestapelt. Obgleich dies für James Playfair gegenwärtig keine Frage von großer Wichtigkeit war, muß hier doch erwähnt werden, daß das Haus Playfair u. Co. ganz vorzügliche Geschäfte machte, da es die ganze Masse von Baumwolle, welche in den Wharfs von Charleston lagerte, zu sehr geringem Preise erstanden hatte.
Von Crockston hatte man keine Nachricht mehr erhalten, und Jenny befand sich in größter Sorge und Aufregung. Wenn das arme Mädchen auch keine Klage laut werden ließ, so sprach doch ihr Blick und der niedergeschlagene Ausdruck ihres lieblichen Gesichts deutlicher als viele Worte. James Playfair suchte sie, so gut er vermochte, zu trösten und zu beruhigen.
»Ich habe das beste Vertrauen auf Crockston, er ist Ihnen mit unerschütterlicher Treue ergeben, sagte er; und Sie, Miß Jenny, die Sie ihn so viel länger kennen als ich, müßten sich doch jetzt beruhigen können. Ehe noch drei Tage vergehen, werden Sie Ihren Vater umarmen, glauben Sie es mir auf mein Wort.
– Ach, Herr James, wie werde ich Ihnen je so viel Aufopferung danken können? wie wird es meinem Vater und mir möglich sein, Ihnen Ihre Güte zu lohnen?
– Das werde ich Ihnen sagen, Miß Jenny, wenn wir uns in englischen Gewässern befinden«, antwortete der junge Kapitän.
Jenny sah ihn einen Augenblick fragend an und schlug die Augen nieder, dann zog sie sich in ihre Cajüte zurück.
James Playfair hatte gehofft, daß das junge Mädchen, bis ihr Vater in Sicherheit sei, Nichts von der furchtbaren Gefahr seiner Lage erfahren würde, aber während des letzten Tages erlangte sie durch die Indiscretion eines Matrosen Kunde von dem wahren Sachverhalt. Die Antwort aus dem Cabinet zu Richmond war mit einer Estafette, welche die Vorpostenlinie durchdrungen hatte, am Abend angekommen; sie enthielt das Todesurtheil des Bürgers Jonathan Halliburli, und dieser sollte am andern Morgen in der Frühe erschossen werden. Die Kunde von der bevorstehenden Hinrichtung hatte sich schnell in der Stadt verbreitet und wurde von einem der Matrosen des Delphin an Bord gebracht. Der Mann theilte die vermeintliche Neuigkeit seinem Kapitän mit, ohne zu ahnen, daß Miß Halliburli sich in Hörweite befand..
Die junge Dame schrie herzzerreißend auf und stürzte bewußtlos auf dem Verdeck zusammen, worauf James Playfair sie in ihre Cajüte trug und es durch die angestrengtesten Bemühungen dahin brachte, daß sie wieder zum Leben zurückkehrte.
Als sie wieder die Augen aufschlug, schaute sie auf den jungen Kapitän, der ihr mit einem Finger auf den Lippen strenges Schweigen gebot. Sie gewann es über sich, ruhig zu bleiben und die
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