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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Und seine Resultate, zu denen er doch durch rein methodisches Vorgehen gelangt ist, haben in der Tat den Anschein von Intuition.
    Die Fähigkeit zur Auflösung wird unter Umständen durch mathematische Studien noch bedeutend geschärft; besonders durch das Studium jener höchsten Mathematik, die man ungerechterweise und nur wegen ihrer rückwärts schließenden Tätigkeit Analyse, gleichsam Analyse par excellence genannt hat. Aber bloßes Rechnen heißt noch nicht analysieren. Ein Schachspieler zum Beispiel tut das eine, ohne das andere auch nur zu versuchen. Daraus folgt, daß das Schachspiel in seinen Wirkungen auf den Geist vollkommen falsch beurteilt wird.
    Doch will ich hier keine Abhandlung schreiben, sondern lediglich eine etwas sonderbare Erzählung durch ein paar aufs Geratewohl hingeworfenene Bemerkungen einleiten. Ich möchte an dieser Stelle nur noch bemerken, daß die höheren Kräfte des überlegenden Geistes durch das bescheidene Damespiel viel lebhafter und nutzbringender angestrengt werden als durch die anspruchsvollen Nichtigkeiten des Schachspiels. Bei diesem Spiel, in dem die Figuren verschiedene und absonderliche Bewegungen von verschiedenem und veränderlichem Werte ausführen können, hält man sehr oft für tief, was nur kompliziert ist. Hier wird die Aufmerksamkeit auf das lebhafteste angespannt. Wenn sie einen Augenblick erlahmt, unterläuft einem ein Versehen, das zu Verlust oder gar zur Niederlage führt. Da die möglichen Züge nicht allein sehr zahlreich, sondern auch von ungleichem Werte sind, liegt die Möglichkeit eines solchen Versehens sehr nahe, und in neun von zehn Fällen wird der aufmerksamere Spieler über den geschickteren den Sieg davontragen. Beim Damespiel hingegen, bei dem es nur eine Art von Zügen mit wenig Veränderungen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit eines Versehens geringer; und da die bloße Aufmerksamkeit verhältnismäßig wenig ausrichtet, kann man die Vorteile, die sich eine Partei vor der anderen verschafft, nur ihrem größeren Scharfsinn zuschreiben.
    Um weniger abstrakt zu sein: Stellen wir uns ein Damespiel vor, dessen Steine bis auf vier Könige zusammengeschmolzen sind, so daß kein Versehen mehr stattfinden kann. Es liegt auf der Hand, daß hier der Sieg, vorausgesetzt, daß die Spieler gleich tüchtig sind, nur durch irgendeinen ganz geschickten Zug, der das Ergebnis einer starken Anstrengung des Verstandes ist, herbeigeführt werden kann. Seiner gewöhnlichen Hilfsquellen beraubt, versetzt sich der Analytiker in den Geist seines Gegners, identifiziert sich mit demselben und erkennt nicht selten auf den ersten Blick die einzige Möglichkeit – sie ist oft ganz absurd einfach –, durch die er seinen Partner irreführen und zu falscher Berechnung verleiten kann.
    Lange Zeit war der Whist wegen seines Einflusses auf die Fähigkeit der Berechnung berühmt; und man kennt Männer von höchster Intelligenz, die ein anscheinend unerklärliches Vergnügen an diesem Spiele fanden, während sie das Schachspiel als kleinlich verschmähten. Ohne Zweifel gibt es nichts Ähnliches in der Art, was die analytischen Fähigkeiten so gründlich übte. Der beste Schachspieler der Christenheit braucht nichts weiter zu sein als eben der beste Schachspieler, aber die Tüchtigkeit im Whistspiel läßt auch in allen anderen und wichtigeren Unternehmungen, in denen der Geist mit dem Geiste kämpft, auf Tüchtigkeit und Erfolge schließen. Ich meine mit dem Worte ›Tüchtigkeit‹ jene vollkommene Beherrschung des Spiels, die alle Quellen, aus denen rechtmäßiger Vorteil gezogen werden kann, kennt. Sie sind nicht allein zahlreich, sondern auch vielartig und entspringen häufig in Gedankenklüften, die einer durchschnittlichen Begabung vollständig unzugänglich sind.
    Aufmerksam beobachten heißt: sich bestimmter Dinge gut erinnern können; deshalb wird sich ein Schachspieler, der an Konzentration gewöhnt ist, sehr gut zum Whist eignen, zumal die Regeln des Hoyle – die selbst nur auf dem bloßen Mechanismus des Spiels basieren – allgemein verständlich und ausreichend sind.
    Ein gutes Gedächtnis haben und regelrecht nach dem Buche spielen, hält man in den meisten Fällen für die Summe aller Erfordernisse zu gutem Spiel. Doch die Kunst des Analytikers zeigt sich in den Dingen, die außerhalb der Regel liegen. Stillschweigend macht er eine Menge Beobachtungen, aus denen er seine Schlüsse zieht. Die Mitspielenden tun vielleicht desgleichen, und der Unterschied in der

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