Esti (German Edition)
nicht Portugiesisch, Deutsch ein wenig. Aus der Küche, hinter der Tür, hörte er eine fremde weibliche Stimme: SIE SIND SO STARK, SO STARK SIND SIE . Er öffnete die Tür. Es wurde still. Ein verschwitztes Frauengesicht blickte ihn an, und ein verschwitztes Vatergesicht. Gleichsam ein Doppel-L bildend, hingen sie über der Tischplatte. In der Stille bewegte sich sein Vater weiter, auf dem Tisch bebten die Gläser. Nahe dem Gesicht der Frau lag ein Stück rote Zwiebel. Er schloss die Tür. WAR DAS IHR SOHN? NICHT UNHÜBSCH. Kusch dich!
Kornél Esti war in dem Alter, in dem ihm alle anderen Leben, egal von wem, interessanter und wertvoller erschienen als das eigene. Vor sich sah er das rot pulsierende, schweißperlige Gesicht der fremden Frau. Bräuchte ich ihr Leben? Das wäre nicht schlecht, SIE SIND SO STARK … Oder das meines Vaters? Das wäre noch besser. Doch schließlich entschied sich Esti für die Zwiebel, die rote Zwiebel, Allium cepa. Das wird gut sein, er grinste (denn meistens weinte oder grinste er) und machte sich ans Portugiesisch.
Tränenleben
E ine Frau schluchzt in der …straße (Budapest). Sie schluchzt und plappert. Sie plappert, als würde sie verfolgt. Damit die Worte schneller dahin, irgendwohin gelangen. Der elegante Mann (Boss-Mantel) wischt der Frau mit einem Papiertaschentuch fachmännisch die Tränen ab; er wartet, bis eine Träne herausrollt, dann am Gesicht hinabgleitet, und dann. Für jede einzelne Träne trägt er Sorge.
Der Mann ist Kornél Esti. Er findet sich selbst zum Kotzen. Er wäre gern an der Stelle der Träne, und sofort – ah, egal! Viele Menschen gehen an ihnen vorüber.
Negativer KISZ-Bericht
oder Das Lob der Langsamkeit
K ornél Esti war einer (keiner), der, wenn die Baroness gereizt Rechenschaft verlangte, warum er schon wieder kontinuierlich einen Meter vor ihr herliefe, genüsslich darlegte, dies, sollte dem tatsächlich so sein, bedeute, dass sie sich mit gleicher Geschwindigkeit vorwärts bewegten, also nicht er schneller werde, vielmehr die Baroness zurückbleibe; im Laufe der Erklärung erklang immer der Ausdruck Meterpersekundum, beziehungsweise wenn nicht, dann verwendete er Kilometerperstunde, dann aber fügte er zuvorkommend die Umrechnungszahl hinzu, auch wenn er die Rechnung nie ausführte.
Nie.
So einer (nicht so einer) war Kornél Esti.
VI
UNSER EINSAMES VATERLAND
Das Heldentum brauchen wir
I n keinster Weise, zur Gänze, das Einzigste – wenn Kornél Esti das hörte, zerrte er, auf die Pflicht zur leidenschaftslosen wissenschaftlichen Beschreibung sprachlicher Phänomene pfeifend, seine . 38er Smith & Wesson hervor und schoss den Betreffenden nieder wie einen Hund. Zuweilen vergewaltigte er ihn auch noch, doch das hielt er selbst für übertrieben. Entweder Esti oder ein Romanheld à la Falstaff; im Prinzip. Das war der Wilde Westen.
Wenn oder Das Heldentum
W enn die Dinge liefen beziehungsweise wenn sie liefen, dann
flogen sie, wenn sie also flogen, dann hatte Esti das Gefühl, er könne sich die Alltäglichkeit, die Normalität, es ist schwer, das genaue, passende Wort zu finden, erlauben. Zur Gänze. Wenn nicht, dann war die Normalität nur Kleinlichkeit, Absicherung, Sicherheitskür. Als wäre Gott ein Versicherungsvertreter und die Kunst das Formular, das man im Ereignisfall ausfüllen muss. Wenn ja, Rausch, wenn nicht, Exzess. Wenn ja, Leidenschaft, wenn nicht, Annehmlichkeit. Wenn ja, Freiheit, wenn nicht, Provinzialität. Wenn ja, Gebet, wenn nicht, Gefeilsche. Wenn ja, nicht, wenn nicht, ja.
Die Bühnenversion
Vorhang
D a ist ein Vorhang. Er geht hoch und wir sehen eine typisch mitteleuropäische Gegend, im realistischen Sinn, also zum Beispiel mit einer echten Donau, einer Müllhalde, streunenden Hunden, nationalen Symbolen. Im Vordergrund der breiten, abgesehen von Obigem gähnend leeren Bühne, fast schon den Zuschauern auf den Füßen stehend, Kornél Esti. Er kratzt sich an den Eiern. Die Wollust knistert. Baroness: Ah. Sie ist nämlich empört. Überkritisch oder angewidert; wenn die Vorstellung gut ist, ist das schwer zu entscheiden. Esti (selbstsicher): Das Eierkratzen gehört in die Sphäre der Erotik. Die Baroness schneidet Grimassen, ich mag nur, was geschmackvoll ist. Esti bittet die Baroness in zivilem Ton, doch die nationalen Interessen vor Augen, sie solle auf der Stelle die Schnauze halten, wenngleich (hier blickt er ins Publikum, dabei habe ich ihn schon tausendmal gebeten, es nicht zu tun, es ist nicht nur
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