Esti (German Edition)
angesichts des zerbrochenen Teeservice die Schwerkraft zu verfluchen oder sich hämisch zu freuen, und noch dümmer, weil es höflich ausgedrückt auf einem Missverständnis beruht, zu sagen, wir für unseren Teil, was uns angeht, so halten wir an der Gravitation fest. Esti wollte etwas, das Fahrrad, dieses Fahrrad, und was jenseits davon lag, das sah er nicht, die Umstände, Bedingungen, Konsequenzen seines Wollens ließen ihn kalt. Wir könnten das Fahrrad das Nichtweiter seiner Sehnsüchte nennen, und tatsächlich gab es kein Weiter, so dass Esti auch nicht berührt war, als sich seine Sehnsucht, die Sehnsucht seiner Sehnsüchte erfüllte. Es ging ihm damit, Verzeihung für die unernste, leichtfertige und lockere, kokette und unvorsichtige, unangemessen spielerische, aber nicht fahrlässige, weil präzise Parallele, wie dem jungen Helden jenes ungarischen Romans mit dem Konzentrationslager, sie studierten gerade die Welt, und da sie bis zur Naivität unvoreingenommen und infolge ihrer kindlichen Würde aufmerksam waren (nicht im Sinne der Zuvorkommenheit, sondern indem sie beobachteten, wachsam waren, achtsam, vigilant), sahen sie, dass die Welt ist, wie sie ist, und infolge ihrer Unvoreingenommenheit und Aufmerksamkeit kamen sie nicht einmal auf die Idee, überrascht oder befremdet zu sein, sie verzogen keine Miene, weil sie gerade keine Erwartungen hatten, keine Wünsche, sie nahmen das Kennenlernen ernst, ihre Freude (mit anderen Worten ihr Glück) wurzelte in diesem Ernst wie die meine in diesem Unernst: Die Welt ist so, stellt der eine von ihnen fest, dass man früher oder später ins Lager gebracht wird, das ist normal, das ist der Lauf der Dinge, oder die Welt ist so, Esti nickte bedächtig, dass … – diesen Satz aphoristisch zu beenden ist schon schwieriger, auf jeden Fall ist sie so, dass in ihr dieses Fahrrad möglich ist. Dass der Fall des Fahrrads – bezogen auf Esti – in der Welt möglich ist.
Esti war nicht verwöhnt, und er ließ sich, wenn in das große Paidagogos-Getriebe Sand geriet, auch nicht verwöhnen, obwohl ich nicht behaupten würde, dass er Geld schätzte (hier waren auch die Eltern ein schlechtes Vorbild, sie konnten gemäß ihrer Erziehungsprinzipien nicht verbergen, dass Geld sie nicht direkt interessierte, weder der Erwerb von Geld noch der Mangel an Geld, und da sie nicht vollkommen mittellos waren, konnte Esti, mochte er sich auch höflich abwenden, nicht nicht sehen, dass keine ihrer Handlungen von ihren finanziellen Mitteln motiviert war), er schätzte es nicht, verschwendete es jedoch auch nicht, dank der strengen oder vergesslich gehandhabten Taschengeldreglementierungsordnung gab es auch nichts zu verschwenden, diese Ordnung jedoch, selbst wenn sie sich in der Prinzipienlosigkeit der Unordnung präsentierte, akzeptierte er klaglos. Er war ein puritanischer Junge. Klaglos hätte er auch akzeptiert, hätte sich sogar darüber gefreut, wenn sein Vater, sagen wir, die Bedingung gestellt hätte, dass Esti einen Teil des Fahrradpreises, wenn auch nicht die Hälfte, so, sagen wir, doch ein Drittel, durch Ferienarbeit verdienen müsste. Doch reichte seine Freude nicht so weit, dass er selbst es angeboten hätte: Er kam gar nicht auf die Idee. Er wusste nicht, spürte eher, dass seine Eltern in den sogenannten Erziehungsfragen nicht aufgrund von Prinzipien entschieden, sondern in allererster Linie (natürlich nicht unabhängig von Prinzipien) nach ihrem guten Gefühl, ihrer Zufriedenheit und gewiss ihrer Begeisterung. Diese Begeisterungsattacken dämpfte dann Estis erwähntes Grinsen.
Ihn interessierte ausschließlich das Fahrrad und absolut nicht der Fahrradkauf, die von seinem Vater feierlich, im feierlichen Rahmen überreichten fünfzigtausend stopfte er wie ein halb benutztes Taschentuch in die Hosentasche, eher wunderte er sich darüber, dass sein Vater nicht mitging: es zu kaufen. Estis Vater hingegen interessierte das Fahrrad absolut nicht, er konnte die Fahrräder auch gar nicht voneinander unterscheiden, er hatte keine Kriterien; auch beim Fahrradkauf war nicht der konkrete Kauf, sondern das Kaufen wichtig, so dass er nicht auf die Idee kam, seinen Sohn zu begleiten (und überhaupt, in dieser Hitze!).
Seitdem jedoch Esti, indem er die übliche kindliche Gerissenheit, also Umsicht, Schmeichelei und Behutsamkeit vermied, die Fahrradfrage nicht aufgeworfen oder zur Sprache gebracht, sondern als zu lösendes Problem vor sie hingestellt hatte, mit einer solch entwaffnend
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