Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
dieser Lehre geschieht. Die Betrachtung der Gewalt als äußerstem Mittel wird an drei Gebote geknüpft: ein Plausibilitätsgebot, ein Mäßigungsgebot und ein Autorisierungsgebot. Die Feststellung, eine Situation erfordere den Einsatz von Gewalt als äußerstem Mittel, genügt nicht; es muss gefragt werden, ob dieses äußerste Mittel auch zum angestrebten Zielführen kann. Doch auch die Möglichkeit eines Erfolgs reicht nicht, sondern es muss geprüft werden, ob dabei die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt wird. Positive Ergebnisse bei der Prüfung dieser beiden Fragen sind jedoch immer noch unzulänglich; es muss auch geklärt werden, ob die Unterordnung der Gewalt unter das Recht darin gewahrt ist, dass die Entscheidung gemäß den Regeln des Rechts, also von einer dazu autorisierten Instanz, getroffen wurde. Dem Plausibilitätsgebot zufolge ist abzuwägen, ob eine realistische Chance besteht, das Ziel der Erhaltung bzw. Ermöglichung des Rechts durch die Gewalt, die als äußerstes Mittel eingesetzt werden soll, zu erreichen. Das Mäßigungsgebot erfordert die Beschränkung des Gewalteinsatzes auf das unvermeidliche Maß und die Beachtung des Schutzes der Nichtkombattanten. Dem Autorisierungsgebot gemäß muss der Einsatz von Gewalt unter Beachtung des staatlichen Gewaltmonopols von der dazu bestimmten Instanz autorisiert sein. Dabei bezeichnen militärische und polizeiliche Gewalt zwei Fälle, in denen die Autorisierung streng an den Inhaber des staatlichen Gewaltmonopols gebunden ist, während mit Widerstand und Notwehr diejenigen Grenzfälle genannt sind, in denen der Träger einer staatlichen Autorität ausfällt und das Wagnis der eigenen Tat als unausweichlich erscheint. Daraus ergibt sich, dass mit Widerstand und Notwehr zwei Fälle in den Blick treten, die den Charakter einer doppelten Ausnahme tragen. Sie verletzen nicht nur die Regel des generellen Gewaltverbots, sondern darüber hinaus auch die Regel des staatlichen Gewaltmonopols.
Neue Kriege und Schutzverantwortung
Das Konzept des gerechten Friedens muss sich in einer Situation bewähren, die durch das Phänomen neuer Kriege geprägt ist (Münkler 2005). Deren Ausgangspunkt liegt im Zerfall der Staatlichkeit
(failing states)
. Das Fehlen eines staatlichen Gewaltmonopols führt zum Ausbruch der Gewalt und löst Gegengewalt aus. Durch Bürgerkriegsparteien oder Kriegsparteien verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit nötigen zu der Frage, wann Ausnahmen vom völkerrechtlichen Interventionsverbot gegeben sind. In diesen Fällen besteht das Ziel einer militärischen Intervention nicht einfach in der Erhaltung des Rechts, sondern in der Ermöglichung eines Rechtszustands.
Diese Konstellation wurde seit Beginn der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts unter dem Begriff der humanitären Intervention erörtert. Dabei handelt es sich um eine einseitige Handlung intervenierender Staaten, die nicht durch eine Entscheidung der Vereinten Nationen autorisiert ist; die Betrachtungsweise ist zudem ganz auf die Rechtfertigung eines militärischen Eingreifens konzentriert. Die Erfahrungen mit dem Völkermord in Ruanda oder mit «ethnischen Säuberungen» auf dem Balkan zeigen, dass dieses Denkmodell zu eng war. Ein Neuansatz musste die Frage beantworten, in welchem Verhältnis die einzelstaatliche Souveränität und eine Schutzverpflichtung der Staatengemeinschaft zueinander stehen. Die Antwort wurde in dem Konzept der Schutzverantwortung
(Responsibility to Protect – RtoP)
gefunden. Es wurde 2000/2001 von der auf kanadische Initiative eingerichteten «Kommission über Intervention und staatliche Souveränität» erarbeitet (vgl. Evans 2008; Bellamy 2009).
Mit der Schutzverantwortung wurde ein Konzept entwickelt, das die Verteidigung der Menschenrechte mit der Achtung der einzelstaatlichen Souveränität verbindet. Der Weltgipfel der Vereinten Nationen machte sich dieses Konzept 2005 zu Eigen; im Blick auf den Darfur-Konflikt im Sudan, die Auseinandersetzungen in der Demokratischen Republik Kongo und die Intervention in Libyen wurde es ausdrücklich herangezogen.
Die Schutzverantwortung beschränkt sich auf die schlimmsten humanitären Katastrophen, die als Menschheitsverbrechen bezeichnet werden: Völkermord, ethnische Vertreibung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen. Sie antwortet darauf mit einem Konzept, das aus drei Elementen besteht. Als erstes Element wird die Verantwortung des jeweiligen Einzelstaats hervorgehoben,
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