Ewig sollst du bueßen
US-Bundesstaatsanwalt, saà am Kopfende. Anna hatte
erst ein Mal mit ihm gesprochen, als sie sich für den Job beworben hatte. Ein
von der Politik Ernannter, der einer Behörde von dreihundertfünfzig
beigeordneten Staatsanwälten vorstand, plauderte für gewöhnlich nicht mit unbedeutenden
Anfängern. Er wurde flankiert von den Chefs seiner beiden wichtigsten
Abteilungen am Superior Court: Carla saà auf der einen Seite von McFadden, Jack
Bailey, Chef der Mordabteilung, auf der anderen. Die anderen Anwälte kannte
Anna nicht. Sie lieà sich auf den Stuhl neben Carla fallen und betrachtete
kläglich Jack, der sich Unterlagen ansah. Endlich machte sie nun die
Bekanntschaft des renommierten Anwalts, doch leider auf die denkbar
schlechteste Weise.
In dem Büro mit den gewieftesten Anklägern des Landes war Jack
Bailey der Beste. Sein unglaublicher Aufstieg aus einem der schlimmsten Viertel
von D.C. zum höchsten Staatsanwalt für Tötungsdelikte hatte aus ihm so etwas
wie eine lokale Legende gemacht. Er war ein groà gewachsener Afroamerikaner mit
einem sorgfältig rasierten Schädel und beeindruckend hellgrünen Augen. Jack sah
jünger aus, als Anna ihn sich vorgestellt hatte. Einmal abgesehen vom
US-Bundesstaatsanwalt war der Chef der Mordabteilung der Wichtigste von allen
hier. Jede neue Anwältin versuchte sich hier die Hierarchieleiter nach oben zu
arbeiten, von kleineren Fällen zu bedeutenderen aufzusteigen, um sich
möglicherweise irgendwann eine Position in Jack Baileys Mordabteilung zu verdienen.
Das Letzte, was sich eine Anfängerin wie sie wünschen konnte, war, dass einer
ihrer unbedeutenden Fälle auf Jacks Mordprozessliste landete. Das bedeutete,
dass irgendetwas schrecklich schiefgelaufen war.
Anna graute es davor zu erfahren, warum sie in diese Sitzung gerufen
worden war. Würden sie sie rügen, weil sie Lapreas Fall verloren hatte? Würde
sie gefeuert werden? Sie hätte Verständnis dafür.
McFadden fing an zu sprechen und es wurde still im Raum. »Die Post rief heute Morgen wegen des Johnson-Mordes an. Und es
stellte sich heraus, dass das Opfer vor ein paar Jahren in ihrer Rubrik Stadtleben vorgestellt worden war. Sie hatte ein
Weiterbildungsprogramm absolviert und brauchte keine Sozialhilfe mehr. Nun möchten
sie wissen, warum diese Frau, die es geschafft hatte, sich aus dem
sprichwörtlichen Müllhaufen zu befreien, nun in einem tatsächlichen ihr Ende
gefunden hat.«
Anna blickte auf ihre Hände herunter. Sie nahm die freundlichen
Blicke nicht wahr, die auf sie gerichtet waren. Sie wusste, dass andauernd
Opfer in Verhandlungen widerriefen, in denen es um häusliche Gewalt ging, und
dies hätte jedem passieren können. Aber genau das war auch der Albtraum eines
jeden Anklägers in Sachen häuslicher Gewalt.
»Sie wollen eine Stellungnahme von mir«, fuhr McFadden fort. »Ich
würde ihnen gern sagen, dass wir einen Verdächtigen haben.« Er wandte sich an
Carla. »Haben wir denn einen Verdächtigen?«
»Haben wir.« Carla klopfte auf die Akte von Dâmarcos letzter
Verhandlung â die Verhandlung, die Anna verloren hatte.
McFadden wandte sich an Jack. »Gut. Und wir werden ihn bald anklagen
können?«
Jack nickte. »Noch heute.«
»Ausgezeichnet. Dieser Fall muss ein warnendes Beispiel in Sachen
häuslicher Gewalt werden. Und die Lehre daraus muss sein: dass sie nicht
toleriert wird.«
»Ich stimme vollkommen zu.« Carla faltete ihre Hände auf dem Tisch
und lehnte sich vor, um den US-Bundesstaatsanwalt direkt anzusprechen. »Und die
Abteilung, die das am besten gewährleisten kann, ist die Abteilung für
häusliche Gewalt.«
»Da muss ich widersprechen«, lieà Jack mit einer tiefen und weichen
Stimme verlauten, die eine selbstbewusste Autorität ausstrahlte, auch wenn er
leise sprach. »Niemand kann einen Mord so gut verfolgen wie ein Ankläger für
Mord.«
»Sie haben doch alle anderen Mordfälle, Jack«, erwiderte Carla und
blickte ihn ärgerlich an. »Ich habe eine ganze Riege erfahrener Anwälte, die
einen Mordfall bearbeiten wollen. Können Sie nicht auf diesen einen verzichten?«
»Es gibt Gründe dafür, warum alle Morde in meinem Laden
zusammengefasst sind, Carla.«
Anna wusste, was für ein strenges Regiment Carla führte, und in ihr
sträubte sich alles bei Jacks Worten.
»Wir
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