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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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aus wie ein trauriges Zebra, ein überfordertes Zebra am Anfang des neuen Jahrhunderts, das gern irgendwo ein wenig Sinn und ein bisschen Liebe entdeckt hätte.
    »Und ich hasse meine Nase.«
    »Hmm?«
    »Ich hasse sie. Ich möchte morgens nicht mehr in den Spiegel schauen, weil dort schon diese Nase auf mich wartet. Ich mag überhaupt nicht aufstehen, wenn ich daran denke, dass ich dann gleich wieder diese Nase sehe.«
    Draußen vor dem Fenster drängten Menschen über den Rosenthaler Platz und gingen ins China Fast Food und den Grillimbiß Yildiz; über der Bäckerei Backfee warb ein Aerobic-Center für Spinning und Wellness, ein Friseur bot für achtzehn Mark Färben, Strähnchen und Dauerwelle an.
    Sie kauften eine Pizza und gingen zu ihm. Diana schlief auf dem Sofa ein, mit dem Kopf auf Bergssons silberner Daunenjacke, die immer noch dort lag. Er zerrte an der Telefonschnur, die sich zu einem lakritzschlangenartigen Knäuel verknotet hatte, und wählte Bergssons Nummer, aber sie nahm nicht ab.
     
    Im Dezember rief Bergsson ihn an; sie wolle die Stadt verlassen, wolle ihn aber vorher sehen. Sie holte ihn mit dem Mercedes ab, sie fuhren aufs Land, in einen Wald. Sie öffneten die Türen und ließen sich in den Schnee fallen. Er erinnert sich: an den Wald und das Moos unter dem Schnee, an die nasse Erde, die in seinem Haar hing. Später starteten sieden Motor wieder, und der Mercedes wälzte sich mit rauchender Kupplung aus dem Feldweg zurück auf die Straße.
     
    Als sie ihn vor seiner Tür absetzte, ging die Sonne gerade auf.
    Das letzte, was er von ihr sah, waren die Rückleuchten des Mercedes, der sich auf der Torstraße entfernte. Sie verkaufte ihn ein paar Tage später.
    Dann verschwand sie. Eine Zeitlang schickte sie noch Postkarten und Fotos, die sie in Athen und in einer Bar in Beirut zeigten; sie hatte ihre Haare heller gefärbt, und auf den Fotografien schien es, als läge ein Schatten unter ihren Augen. Es hieß, sie arbeite in Syrien oder Marokko als Fremdenführerin. Sie schickte schließlich noch ein paar Fotos von ihrem Mobiltelefon: Marie Bergsson mit einem Kopftuch, dann ganz vermummt, einmal nackt im Meer, in einer Bucht. Dann wurden die SMS weniger, und schließlich hörten sie nichts mehr von ihr.

2008
Die linke Spur
    Kilometerstand 270.423
     
     
    Er hatte sich nichts vorzuwerfen.
    Sie hatten ihn schon früh am Morgen angerufen, er solle ins Büro kommen, es müsse jetzt schnell gehen, die Leute von Atticus seien am Durchdrehen, weil der Kurs sich halbiert habe, es sei der Ernstfall eingetreten, niemand habe wissen können, dass … Um kurz vor acht stand Berger im Stau Richtung Innenstadt, rasierte sich mit der linken Hand im Rückspiegel, machte das Radio an und betrachtete auf dem iPhone die nach rechts unten zuckende blaue Xetra-Dax-Kurve, die den Tagesverlauf vom Mittwoch darstellte. Er gab verschiedene Stichworte bei Google ein, fuhr fast auf seinen Vordermann auf und versuchte zu verstehen, was auf dem Display seines Mobiltelefons vor sich ging. Es war Donnerstag, der 11. September 2008, kurz vor acht, die Temperaturen lagen bei fast zwanzig Grad. Er fuhr offen, obwohl sich ein Wolkentumult vor die Sonne geschoben hatte und der Wind an seinen Haaren zerrte. Er versuchte, seine Frau anzurufen, aber sie schlief offenbar noch oder stand unter der Dusche oder stritt sich mit dem Kind, was es anziehen solle. Tolkow, mit dem er manchmal zusammenarbeitete, rief an, er klang gehetzt und redete wirres Zeug, sprach von Handlungsbedarf – Lehman sei am Ende, man erwarte die Ausgliederung von Gewerbeimmobilien und weiteren illiquiden Vermögenswerten, die Dividende werde verringert, so wolle man wieder auf Kurs kommen, dies sei kein gutes Zeichen, man müsse reden, sich treffen, hallo, ich verstehe Sie nicht, ach so – dann brach die Verbindung ab. Berger drehte das Radio wieder laut, es kam jetzt ein Berichtüber einen Amerikaner namens Wagner, der gegen das US-Energieministerium und das Schweizer CERN klagte, um die Inbetriebnahme des neuen Teilchenbeschleunigers zu verhindern; der Große Hadronen Speicherring sollte in ein paar Tagen seine Arbeit aufnehmen. Wagner, hieß es in dem Bericht, fürchte, bei den Experimenten könnten Schwarze Löcher entstehen, die den Planeten aufsaugen würden. Es folgte ein Interview mit dem Chaosforscher Otto Rößler, der mit einer matten, fast flüsternden Stimme erklärte, im CERN könnten künstliche Schwarze Löcher erzeugt werden, aber diese extrem

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