Falsche Opfer: Kriminalroman
würde und sich deshalb so nichtssagend wie möglich gab.
Arto Söderstedt tat seine Pflicht, aber nicht viel mehr. Irgendwo unter der grauen Routinearbeit lag nämlich etwas und scheuerte. Er fragte sich, was es sein mochte.
Ein Sandkorn, das darauf wartete, eine Perle zu werden?
Sie fuhren in nördlicher Richtung nach Hökarängen. Hier lag Roger Sjöqvists letzter bekannter Aufenthaltsort. Sjökvist war nach neun urlaublosen Jahren bei seinem ersten unbewachten Hafturlaub aus der Anstalt Tidaholm geflohen. Er hatte damals angegeben, er wohne an dieser Adresse. Es zeigte sich, dass es die Wohnung seiner Eltern war, und er hatte sich dort seit zehn Jahren nicht blicken lassen. Söderstedt und Norlander ließen sich von dem etwas heruntergekommenen Elternpaar Sjöqvist überzeugen. Der Vater – wenn er denn der Vater war – stank so stark nach Schnaps, dass die geringste Funkenbildung das ganze Hochhausgebiet hätte hochgehen lassen. Sie verließen schleunigst die Gefahrenzone.
»Verdammt ergiebig«, sagte Norlander im Wagen auf dem Weg zurück nach Kungsholmen. »Verdammt großen Nutzen haben wir getan. Verdammt sinnvoll, das Ganze.«
»Schnauze«, sagte Söderstedt.
Norlander betrachtete ihn verwundert.
Arto Söderstedt dachte nach. Es scheuerte immer unerträglicher. Das Sandkorn verlangte danach, eine Perle zu werden.
Er hatte etwas gesehen, gehört oder gedacht. Irgendwann an diesem Vormittag hatte ihn etwas gestreift, das seine Aufmerksamkeit hätte wecken sollen. Aber es war vorübergezogen, und jetzt lag es da und scheuerte wie ein Sandkorn in einer Muschel. Oder besser, eine Fliege im Auge, die durch Blinzeln hinter den Augapfel gerutscht ist und an die man nicht herankommt. Außer mit chirurgischen Methoden.
Söderstedts chirurgische Methode war von der rechtgläubig klinischen Art. Er ging den ganzen Tag durch, beim Aufwachen angefangen. Als er die Augen aufschlug, war Anja fort. Sie war schon zum Steuerkratzer gegangen, um überflüssiges Fett von Steuererklärungen zu kratzen. Danach Toilettenbesuch. Keine bemerkenswerten Gedanken. Irritation über Hartleibigkeit. Frühstück. Lebhaft. Vier Kinder. Kleinere Prügelei zwischen dem Acht- und dem Zehnjährigen. Catfight, hatte er gedacht, das fiel ihm ein. Das fünfte Kind im Jugendlager nördlich von Uppsala. Ablieferung von drei Kindern, der Dreizehnjährige blieb zu Hause, zuerst zwei ins Freizeitheim, dann das Kleinste in die Tagesstätte. Reflexion über das Abliefern von Kindern im Sommer respektive Winter. Die blitzartige Einsicht, dass er bald kein Kind mehr in die Tagesstätte bringen würde. Betrachtung von Schattenspiel in der Bondegata respektive am Steuerkratzer. Wunderliche Phantasien darüber, sich in einem Kriminalroman zu befinden. Nachdenken über die Parkbestimmungen in Stockholms City. Der überlegene Sieg in der Safari-Rallye. Überlegungen zum Autokauf. Der Begriff Familienauto. Europäische Crashtests. Viggo. Diskussion über plötzlichen Kindstod, Kaffeekränzchen, Hühnerhöfe, der Begriff ›sprudeln‹. Viggos sexualträumerisches Lächeln. Gula Tidningen. Teure Familienautos. Sieben Interessebekundungen via E-Mail. Dann Beschämung. Das Gefühl kehrte zurück. Warum Beschämung? Die Rubrik ›Ich liebe dich‹ der Woche. Genau, Scheidensekret-Service. Da war es. Irgendwo da. Eine Mitteilung.
Wie war es noch? Stute-Edna. Kühltruhengeschichte. Licking Jack. Still waiting. Nein, es klingelte nicht.
›Kein Verbrechen ist schlimmer als bitterer Verrat, sagten die Schwestern Florento.‹ Da war es wohl. Die Schwestern Florento? Ein kleines Klingeln.
Ein Verbrechen von irgendeiner Art, das kürzlich durch die Presse gegangen war ... Waren die Schwestern Florento nicht Kriminelle? In den USA, oder? Zwei Prostituierte, die einen Zuhälterboss um einen Haufen Geld erleichtert hatten. Aber war das so wichtig?
Warum werden Kriminelle unter der Rubrik ›Ich liebe dich‹ in einer Mitteilung in der Internetversion von Gula Tidningen zitiert?
Jaja, so what? Es war die Kombination mit etwas anderem, das ausschlaggebend war. Wie war es noch gewesen? Orpheus und Eurydice? Ja, da war es, doch es war nicht das. Waren da nicht auch Ziffern? Kombinationen?
Was hatte da noch gestanden unter ›Ich liebe dich‹ der Woche?
BK, CF, DL. ›3 12 13 18 24 28 3O‹. Nein, das sah nach einer Lottoreihe aus. Waren es nicht sieben Ziffern im Lotto? Initialen und Lottoreihe.
›3+3=5‹. Nein, das war ›still waiting‹. Einer von sechs
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