FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
in der Abteilung für Wirtschaftskriegsführung des Justizministeriums in New York tätig gewesen war. 1945 war sie nach Washington gezogen, um in eine andere Abteilung des Justizministeriums zu wechseln: die Foreign Agents Registration Division, die Abteilung für die Registrierung ausländischer Agenten, die bei der Überwachung der Tätigkeit politischer Agenten ausländischer Staaten eng mit dem FBI zusammenarbeitete – aus sowjetischer Sicht eine sehr viel bessere Position.
Ihr Codename war Sima. »Sie macht den Eindruck einer sehr ernsthaften, bescheidenen und bedachtsamen jungen Frau, die uns ideologisch nahesteht«, berichtete der KGB-Offizier, der sie angeworben hatte. [242]
Das FBI kam schnell zu dem Schluss, dass Simas Profil nur auf eine einzige Frau im Justizministerium zutreffen konnte. Ihr Name war Judith Coplon. Sie hatte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung und konnte daher als streng geheim klassifizierte FBI-Dossiers über ausländische Agenten einsehen. Diese Dossiers enthielten eine Fülle von Datenmaterial zu sowjetischen Spionen und amerikanischen Kommunisten.
Hoover musste sich für eine Strategie gegen Coplon entscheiden. Das FBI reagierte prompt, befand es sich doch mitten in einer sowjetischen Spionageoperation und verfolgte die Geschehnisse in Echtzeit.
Zuerst wurden Wanzen in Coplons Wohnung und Büro, in der Wohnung ihrer Eltern und in der New Yorker Wohnung eines Sowjets installiert, mit dem sie telefoniert hatte: Walentin Gubitschew, der bei den Vereinten Nationen arbeitete, aber eindeutig ein sowjetischer Spion war. 50 Agenten waren rund um die Uhr im Einsatz und zeichneten die abgehörten Gespräche auf. Dann entschloss sich Bob Lamphere vom FBI, Coplon eine Falle zu stellen. Er verfasste einen gefälschten Brief, demzufolge ein Bevollmächtigter der sowjetischen Handelsmission Amtorg in New York ein FBI-Informant sei, und schmuggelte ihn unter die zahlreichen Dokumente, die Coplon im Justizministerium auf den Schreibtisch bekam. Sie stahl den Brief.
Jetzt verfolgte das FBI die Vorbereitungen zu einer Reise Coplons nach New York, um sich dort mit Gubitschew zu treffen. FBI-Agenten beantragten einen Haftbefehl beim stellvertretenden Justizminister, General Peyton Ford, den dieser jedoch ablehnte: Es existierten keine stichhaltigen Beweise. Coplon könne nur dann verhaftet werden, wenn sie bei der Übergabe von als geheim eingestuften Dokumenten an den Agenten eines ausländischen Staates auf frischer Tat ertappt werde. Am 3. März 1949 nahm Coplon, von einem FBI-Team beschattet, den Zug nach New York. Coplon und Gubitschew merkten, dass sie observiert wurden. Coplon übergab ihm nicht die Dokumente. Das FBI nahm sie trotzdem ohne Haftbefehl fest.
Gegen Coplon wurden zwei Prozesse geführt: einer im April wegen Diebstahls von Geheimdokumenten in Washington, der zweite im November wegen Spionage in New York. Sie wurden für Hoover und das FBI zum Desaster.
Coplon war eine Spionin, keine Frage. Aber das FBI hatte gegen das Gesetz verstoßen, als es versuchte, sie vor Gericht zu stellen. Es hatte die Gespräche mit ihrem Anwalt illegal abgehört. Im ersten Prozess leugnete ein FBI-Agent im Zeugenstand, dass Coplons Telefon abgehört worden sei. Seine Aussage wurde später als Lüge entlarvt.
Dann ließ der Richter – zu Hoovers Entsetzen – FBI-Berichte als Beweismittel zu, die darauf hindeuteten, dass der Geheimdienst dem sowjetischen Spionagering auf der Spur war, wodurch die Geheimhaltung des Venona-Projekts bedroht war.
Um die Geheimnisse seiner Behörde vor der Offenlegung bei Gerichtsverfahren zu schützen, setzte Hoover am 29. Juni 1949 eine neue Maßnahme zur FBI-internen Sicherheit in Kraft: das June-Mail-Verfahren für die Berichte, die aus der Installation von Abhörgeräten und Wanzen, aus Einbrüchen und Einbruchdiebstählen gewonnen wurden, sowie für potentiell brisante Berichte aus »streng geheimen Quellen«. June Mail wurde nicht im Zentralarchiv des FBI gelagert und katalogisiert, sondern in einem geheimen Aktenraum aufbewahrt, zu dem Unbefugte keinen Zutritt hatten. Das FBI-Hauptquartier erteilte die schriftliche Anweisung, »alle administrativen Dokumente der New Yorker Dienststelle« im Zusammenhang mit dem Fall Coplon »im Hinblick auf den bevorstehenden Gerichtsprozess« zu vernichten. Die schriftliche Anweisung enthielt einen Vermerk in blauer Tinte: »O.K. – H.« [243]
Trotz Hoovers Bemühungen wurde im zweiten Prozess gegen Coplon die
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